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Gruppenbild der Schiedsrichter beim Qualifier in Japan. Foto: Wefers Bettink

 

Shoppen mit den Schiedsrichtern

Über die Mannschaft der Unparteiischen und ihren "Trainer" Ray

Hamish Jamson (ENG) gehört zur Schiedsrichter-Crew in Kakamigahara.

Neben den sechs Hockeyteams, die hier in Kakamigahara auf der Jagd nach dem letzten Peking-Ticket sind, trifft man vor Ort noch auf eine weitere, sportlich nicht minder ambitionierte Mannschaft: die 8-Mann-starke Schiedsrichtertruppe mit ihrem irischen „Trainer“ Ray O’Connor. Und da gibt es durchaus einige Parallelen: Auch die Schiedsrichter mussten vor Beginn des Turniers einen Fitnesstest absolvieren, Laktatwerte wurden aber nicht gemessen, versichert mir der einzige einheimische Unparteiische, Satoshi Kondo.

„Ich muss mich aber schon wirklich fit halten, so drei- bis viermal die Woche gehe ich Laufen“, erzählt der Tokioer, der hier vor Ort mitunter auch als Übersetzer und Fremdenführer für seine multikulturellen Teamkollegen einspringt, mit viel Engagement. Gestern abend führte er seine Mannschaftskameraden in ein typisches japanisches Restaurant aus, um sie mit den kulinarischen Genüssen und Feinheiten des Landes bekannt zu machen. „Zunächst bekamen wir allein zehn kleine Probegerichte, aus denen wir uns dann unsere Favoriten aussuchen durften – aber eigentlich war ich nach dem Vorkosten schon satt“, meint Misses O’Connor, auch eine ehemalige Hockeyspielerin und noch immer Hockeybegeisterte, die ihren Mann hier das erste Mal offiziell mit auf ein Turnier begleiten darf.

Das Trainerprivileg gilt nämlich nicht für seine Schützlinge, die ihre Frauen und Freundinnen nicht zu Turnieren mitnehmen dürfen. Ray O’Connor selbst ist auch ganz begeistert von der japanischen Küche und Satoshis Fremdenführerqualitäten. „Ohne ihn wären wir niemals in ein so gutes einheimisches Restaurant gekommen. Man scheitert ja schon gänzlich an der Speisekarte!“ Am heutigen spielfreien Tag, an dem ein Mannschaftsausflug in einen riesigen Einkaufspalast im Zentrum Gifus anstand, war Satoshi gefragt, um seinen Kollegen beim Kauf japanischer Elektronikgeräte zu beraten.

Und da zeigten sich dann auch deutlich die nationalen Unterschiede, die sich in der Truppe der Unparteiischen versammeln: Der Brite Hamish Jamson, der an englische Pfundpreise gewöhnt ist, fand schon das ein oder andere japanische Schnäppchen. Deon Nel aus Südafrika, dem er eine Rückenmassage mit einem äußerst merkwürdigen Gerät verpasste, erstand sich lediglich eine Speicherkarte für seine neue Digitalkamera, die die Schiedsrichter vom Japanischen Hockeyverband als Begrüßungsgeschenk überreicht bekommen hatten.

„Mit dem südafrikanischen Rand kommt man hier nicht weit“, erklärt mir Deon, dem Japan gerade eh wie eine andere Welt vorkommt. „Hier ist alles so ordentlich, organisiert und unglaublich sicher. Im Stadion sah ich gestern jemanden, der sein Handy zum Aufladen an eine Steckdose neben dem Getränkeautomaten anschloss – und dann wegging! In Südafrika wäre das Handy schon weg, wenn man sich nur kurz umgedreht hätte.“ In seiner Heimat kämpfe man gerade mit Problemen, die in Japan undenkbar wären. Denn fast jeden zweiten Tag würde für ein paar Stunden der Strom abgestellt, damit man die Energieversorgung wieder in den Griff bekäme.

Ein paar Regale weiter amüsieren sich die zwei Südamerikaner German Montes de Oca und Marcelo Servetto, der auch aus Argentinien stammt, mittlerweile aber für Spanien pfeift, über den elektronischen Schnickschnack, den man in der ostasiatischen Techniklandschaft findet. Als ich sie frage, ob die Stimmung immer so gut sei in den Schiedsrichterteams, verneint Marcelo: „Nein, das ist wirklich sehr unterschiedlich. Vor 10 bis 12 Jahren beispielsweise waren alle noch viel verbissener, man kämpfte mit unfairen Mitteln gegeneinander, um selbst am Ende am besten dazustehen. Aber so etwas gibt es heute nicht mehr.“

Natürlich seien sie immer noch Konkurrenten, jeder möchte sich auszeichnen und das Finale erreichen, aber dennoch können sie zusammen Spaß haben. Auch sein Coach Ray hebt gemeinsame Erlebnisse wie den Restaurantbesuch am Vorabend hervor, um vom Teamspirit einer Schiedsrichtermannschaft zu berichten. „Wir saßen mit neun verschiedenen Nationalitäten an einem Tisch und begaben uns auf das Abenteuer ‚Japanische Küche’.“ In seiner Truppe finden sich neben den bereits genannten noch der Chinese Dekang Chen, der Australier Murray Grime sowie der Koreaner Hong Lae Kim.

Es sei überhaupt eine sehr interessante Truppe, in der sich neben einem Urgestein wie Murray auch Schiedsrichterneulinge finden, die bislang gerade mal vier internationale Spiele geleitet haben. Und, falls das bisher noch nicht so ganz klargestellt worden ist, mit dieser bunten Mannschaft arbeitet Ray sehr hart: Er führt Einzel- und Gruppengespräche nach jedem Spiel, um den Schiedsrichtern ein ausführliches Feedback zu geben, dabei werden Fehler per Videomitschnitt analysiert.

Aber auch schon vor dem Turnier führte Ray seine Schützlinge ausführlich ein, wies sie auf Aspekte, die ihm wichtig sind, gesondert hin. „Die Anforderungen an den Schiedsrichter-Manager, wie man meine Tätigkeit nennt, sind sehr anspruchsvoll: Neben speziellem Hockeywissen sind auch soziale Fähigkeiten, Organisationsgeschick sowie, mit den ganzen Gerätschaften heutzutage, auch technisches Know-how vonnöten.“

Aber mit 16 Jahren Schiedsrichtererfahrung auf internationaler Ebene hat sich Ray dafür absolut qualifiziert: Er wurde als erster irischer Schiedsrichter aller Zeiten für die Olympischen Spiele in Atlanta nominiert und war auch bei den Spielen in Sydney und Athen dabei. Und auch den Hockeyteams hier in Japan hat er etwas voraus, denn er ist bereits als Schiedsrichter-Manager für die Olympischen Spiele in Peking qualifiziert!

Charlotte Geiger

 
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