Freitag, den 9.11.2001 in Rotterdam
Abschieds-InTeamitäten
Nach elf gemeinsamen Tagen fällt es schwer, sich mit dem Gedanken vertraut zu
machen, statt Torerfolgen sich wieder erfolgreichen Einsprüchen gegen die
Finanzverwaltung zuwenden zu müssen, statt des Atmens von Höhenrausch bald
wieder Aktenmief. Es ist ein unvergleichliches Privileg, das Leben in solch
einer Mannschaft miterleben zu dürfen. Nicht nur, weil die Jungens dauernd
gewinnen. Da fällt es schon schwer, sich ab morgen wieder an den Alltag zu
gewöhnen.
Manch einer mag dabei denken, die führen ein Luxusleben. Jetten von einem
Fünfsterne-Hotel zum nächsten. Es sind nicht immer fünf Sterne, die funkeln.
Unser letzter Lehrgang in der Jugendherberge Limburg stand dem hiesigen
Novotel-Leben kaum nach. Natürlich ist 4-Bett-Zimmer etwas anderes als
Twin-bedded-room mit Bad, etc. Aber nach 11 Tagen Klimaanlage in völlig
überheizten Räumen, ohne die Möglichkeit, ein Fenster zu öffnen, ist es ein
medizinisches Wunder oder gute Prävention der medizinischen Abteilung, dass
hier niemand krank geworden ist.
Auch unser tägliches Besprechungszimmer alles andere als vom anderen Stern.
11 th floor ist unsere Etage. Und buchstäblich auf dem Fußboden liegen die
Spieler vor der weißen Wand, gleich am Fahrstuhl, auf die Bernhard Peters die
Spielszenen beamt.
Auch das Speiseangebot von lähmender Gleichtönigkeit hält keinen Vergleich
mit dem Variationsreichtum der Jugendherbergsküche unserer Frau Hebbe in
Limburg stand (für Trainingslager mit dem direkt daneben liegenden Kunstrasen
eine empfehlenswerte Adresse). Jeden Morgen hier dieselben Luftbrötchen, die
nur mit Briefbeschwerern auf dem Büffettisch gehalten werden können. Dazu
"lecker" Weißbrot, von dem sich auch nach der hundersten Scheibe noch kein
Sättigungsgefühl einstellt. Dazu immer wieder Gouda, Gouda, Gouda. Nichts
Frisches, nichts Herzhaftes. Wer mag, kann sich an einer geschmacklosen
gelben Pampe, genannt Rührei, erlaben. Aber die Jungens lassen sich von
solchen äußerden Umständen nicht beinflussen. Im Gegenteil.
Kapitän Flocke Kunz hatte bei diesem Frühstück einen weiteren Anlaß seinen
Aberglauben zu pflegen. Jeden Morgen der gleiche Frühstücksinhalt. Vier
Scheiben Lufttoast, zwei davon mit Gouda ohne Kräuter, zwei mit Inhalt. Wie
man sieht, schadet es nichts, er liegt an der Spitze der Torschützenliste.
Auch sonst pflegt der Gladbacher Immobilienkaufmann seine Rituale. Immer
während des Aufwärmens im Stadion für fünf Minuten Absondern von der
Mannschaft, einsames Einstimmen auf das Spiel auf der Bank. Er verlässt als
Letzter die Kabine und Physio Mario Plesse muß ihm dann die
Mannschaftsführerbinde umlegen. Auch die medizinische Abteilung wechselt die
Bekleidung während des Spiels nur noch Niederlagen. Nun wissen Sie, warum es
in dieser Gegend etwas strenger riecht und Mario und Andy inzwischen neben
die Bank ausquartiert wurden. Sonst hat eigentlich kaum einer ein Ritual,
einen Kult, einen Aberglauben. Oder sie verraten sie nicht. Allenfalls
Mittelfeldchef Christoph Eimer gibt zu, in der Kabine immer an derselben
Stelle zu sitzen.
Zur Einstimmung auf das Endspiel noch ein paar Zahlenspiele, der
ChampionsTrophy-Datenbank. Deutschland erzielte 15 Tore, davon 6 Feldtore,
fünf Ecken- und vier Siebenmeter-Tore. Nur ein weiterer 7m wurde für Korea
verhängt. In der Kartenstatistik liegt Deutschland im hinteren Mittelfeld
mit zweimal grün und zweimal gelb. Spitzenreiter Pakistan erhielt 6 x Grün, 2
x Gelb. Insgesamt ein sehr faires Turnier mit durchwachsenen bis guten
Schiedsrichterleistungen. Die nach wie vor sich erfreulich von der Praxis in
Deutschland unterscheidet. Weil alle den Geist des Spiels atmen und das
Spiel, die Attraktivität des Spiels in den Mittelpunkt ihres Handelns
stellen. In Deutschland habe ich oft den Eindruck, dass das eigene
Durchsetzen wichtiger scheint.
In der Torschützenliste führt, wie gesagt, "unser" Florian Kunz, 8 Treffer.
Platz 2: Abbas, 7 Tore, Kashif 5,m Elder 4, Hiskins 4, Domke 3...Es gibt auch
eine Torschuss-Statistik. Danach hat man insgesamt 161 Torschüsse in diesem
Turnier gezählt. Auch hier führt Deutschland mit 34 Torschüssen, vor Pakistan
mit 31. Letzter die Niederlande mit nur 19. Von diesen 34 Torschüssen führten
6 zum Tor (19 %), 8 verfehlten es knapp (weniger als 50 cm), 18 konnte der
Torhüter halten (21 %), 2 wurden von anderen abgewehrt. Die beste Quote in
der Torverwertung hat Australien mit 26 % (8 Treffer bei 28 Torschüssen).
Genug der Zahlenspiele. Was zählt ist aufem Platz (frei nach Adi Preißler).
Deutschland hat die Favoritenrolle. Auch Turnierdirektor Davidzon sieht in
Deutschland das beste und fitteste Team. "Ich denke, dass Deutschland am
Sonntag dieChampions Trophy mit nach Hause nimmt." Noch eine Fußballweisheit.
Schaun mer ma.
Auch heute ein medizinisches Bulletin. Nur halb erfreulich. Unserem Florian
Keller geht es ganz gut. Um schnell wieder beim Hockey sein zu können, lässt
er sich am Montag in Berlin operieren. Ihm auch von dieser Stelle gute
Besserung.
Wir bedanken uns für die rege Anteilnahme aus Deutschland, die sich vor allem
auf der Fan-Mail-Seite zeigt. Bleiben Sie weiter mit uns in Kontakt. Die
Spieler freuen sich über jeden Brief. Bis bald aus Spanien, Südafrika oder
Kuala Lumpur, unseren Feldhockeyreisezielen dieses Winters. Neben drei
Wintertreffen in Leipzig, wo wir zur Not in die Kunstrasenhalle ausweichen
können. Aber bis 0° C, so hat es Bernhard Peters angekündigt, wird draußen
trainiert. Die Konkurrenz schläft nicht - und spielt unterdes Feld- statt
Hallenhockey.
HockeyHerzlichst
Dieter Schuermann
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