Ein Libero wird eigentlich nie zum besten Spieler gewählt

Ein Interview mit Nationalmannschaftskapitän FLORIAN KUNZ

Text: Uli Meyer (DHZ)



Doppeltes Pokale-Stemmen für Florian Kunz in Kuala Lumpur: Als Kapitan durfte er den Azlan-Shah-Cup für das siegreiche deutsche Team in Empfang nehmen, anschließend gab es für ihn noch den Sonderpreis als bester Turnierspieler.

Die DHZ führte mit dem 29-jährigen Gladbacher nach dessen Rückkehr aus Malaysia folgendes Interview.

DHZ: Was war überraschender fur Sie: der Turniersieg der deutschen Mannschaft mit so klaren Siegen oder Ihre Wahl zum besten Spieler des Turniers?
Kunz: Nach den Ergebnissen beim Panasonic-Turnier habe ich schon gedacht, dass wir in Malaysia oben mitspielen, wir wollten auch unbedingt ins Endspiel kommen. Meine Wahl fand ich schon extrem verblüffend. Erstens bin ich so etwas in die Vergangenheit noch nie geworden, außerdem wurden Björn Michel zweimal und Oliver Domke sogar dreimal zum "Man of the match" gekürt. Da wäre es eigentlich naheliegender gewesen, einen von diesen beiden zu nehmen. Oder beispielsweise Christoph Eimer oder Philipp Crone, die wie viele andere unserer Mannschaft auch ein super Turnier gespielt haben.

DHZ: Wer hat den "player of the tournament" diesmal ausgewählt - nur die Journalisten, oder auch Offizielle, Trainer etc.?
Kunz: Angeblich haben Journalisten und Trainer die Wahl zusammen durchgeführt. Aber ich weiß es nicht genau. Es blieb keine Zeit mehr zum Fragen, wir mussten sofort nach der Siegerehrung los zum Flughafen.

DHZ: Solch eine Auszeichnung bekommen selten Spieler, die nicht an spektakulären Toren beteiligt sind.
Kunz: Stimmt. Meist werden bei solchen Wahlen hauptsächlich Offensivspieler gewählt. Ein Libero wird das eigentlich nie. Darum hat es mich um so mehr gefreut. Die Entscheidung, nach Sydney doch weiterzumachen, hat sich gelohnt.

DHZ: Wie ist Ihre Erklärung fur die überzeugende Art des deutschen Turniersieges, fur die Vielzahl hoher Siege selbst gegen Weltklassegegner?
Kunz: Der 5:2-Vorrundensieg über Korea ist gemessen am Spielverlauf sicherlich zu hoch ausgefallen. Wir haben aber insgesamt sehr gut gespielt und sind vor allem mit den Bedingungen sehr gut zurecht gekommen. Alle anderen Mannschaften sind in den Spielen irgendwann eingebrochen, wir nicht. Weil unser Trainer ganz konsequent durchgewechselt hat, vor allem im Mittelfeld und Angriff, hatten wir in der zweiten Halbzeit einfach mehr Luft als der Gegner. Und vorne wurde auch mal was riskiert, die Stürmer dürfen ihre Trickkiste ganz weit aufmachen. Wir spielen immer offensiv, machen immer viel Druck auf den Gegner. Ich denke, das sind die wesentlichen Umstellungen bei uns.

DHZ: Die Erfolgsquote bei der Strafecke war mit 40 Prozent diesmal auffällig höher als gewöhnlich. Waran lag es?
Kunz: Hauptsachlich war das die Leistung von Björn Michel. Er war für mich schon immer einer der besten Schlenzer der Welt. Ich hoffe, dass jetzt der Knoten bei ihm geplatzt ist. Und ein erfolgreicher Standardschütze macht automatisch auch die Varianten gefährlicher. Wir haben zwar zahlreiche Varianten, die man zum jetztigen Zeitpunkt logischerweise noch nicht alle zeigen will, doch in Malaysia lag die erste Prioritat immer auf der direkten Ausführung. Das ist für das Selbstbewusstsein des Hauptschützen besser, als schon bei der zweiten Ecke mit Varianten zu beginnen, wie das in Sydney der Fall war.

DHZ: Michels Erfolg kam auch deshalb überraschend, weil er aufgrund anstehender Examensprüfungen den Kopf doch gar nicht so frei wie sonst haben konnte.
Kunz: Björn hätte das Turnier auch absagen konnen. Aber er hat es nicht getan, hat sich in den Dienst der Mannschaft gestellt. Es war eine Art Kompromiss zwischen ihm und Bernhard. Björn nahm in Kuala Lumpur an keiner einzigen Mannschaftsbesprechung teil. Faszinierend, wie er dann auf dem Hockeyplatz praktisch einen Schalter umlegen und sich voll auf Hockey konzentrieren konnte. Und er hat ja ein super Turnier gespielt, hat gerade in den ersten Spielen praktisch alles getroffen.

DHZ: Was hat die Konkurrenz zur deutsche Leistung gesagt?
Kunz: Die waren schon sehr überrascht von uns. Aber auch das war ja unser Ziel, uns spielerisch zu verbessern und auch allen zu zeigen, dass mit Deutschland zu rechnen ist, dass wir eine starke Mannschaft haben, die nur ganz schwer zu schlagen ist. Der Respekt, den wir uns aufgebaut haben, kann zusammen mit einem guten Selbstbewusstsein bei der WM ausschlaggebend sein. Und Selbstvertrauen aufzubauen ist uns in den letzten Monaten extrem geglückt.

DHZ: Geht die Siegesserie auch bei der Champions Trophy weiter?
Kunz: Es ist natürlich ein großes Problem, was mit den sechs Junioren sein wird. Wenn sie wegen der U 21-Weltmeisterschaft nicht mit zur Champions Trophy fahren, fehlen uns diese Jungs, die mittlerweile fest etabliert und wichtig fur die A-Mannschaft sind. Sind sie aber doch in Pakistan dabei, müssten sie bei diesem unglaublichen Doppelprogramm eigentlich irgendwann einen Einbruch kriegen. Es ist die Frage, wie wir das kompensieren konnen. Ich jedenfalls will nach Lahore fahren, um dort wie schon einmal 1994 vor über 50 000 Leuten im Finale zu spielen. Das ist einfach ein Erlebnis. Und am liebsten wäre es mir natürlich, wenn unsere Serie bis Marz halten würde.

DHZ: Wäre es aus psychologischen Grunden geschickt, rechtzeitig vor der WM noch einmal eine richtige Klatsche zu bekommen?
Kunz: Genau darüber habe ich kürzlich auch mit Bernhard gesprochen. Eine Niederlage zum richtigen Zeitpunkt könnte uns darauf aufmerksam machen, dass man Spiele wirklich nur gewinnen kann, wenn man hundert Prozent gibt. Aber die Befürchtung, dass wir den Realitatssinn verlieren, habe ich nicht. Der Trainer tut da sein Übriges. Man darf die jetzigen Ergebnisse auch nicht überbewerten.

DHZ: War die Leistung vom Azlan-Shah-Turnier schon WM-reif?
Kunz: Es ist eine sehr gute Frühform. Und ich hoffe, wir können sie halten und sogar noch ausbauen. Rein körperlich war das zum jetzigen Zeitpunkt schon eine sehr gute Leistung. Sehr viele Spieler haben ihren guten Fitnesszustand von Sydney noch gehalten. Aber wir müssen trotzdem noch an vielen Dingen arbeiten. Selbst bei diesem vom Ergebnis her optimal abgeschlossenen Turnier lief bei genauerem Hinsehen nicht alles reibungslos. Und sicherlich wird auch die Konkurrenz bis zur WM stärker.

DHZ: Gilt Deutschland jetzt als WM-Favorit?
Kunz: Wir haben - zum Teil mehrfach - alle geschlagen, die in Sydney vor uns lagen. Also wenn man diese Ergebnisse sieht, dann rutscht man automatisch in solch eine Favoritenrolle. Bernhard will das natürlich überhaupt nicht hören. Aber wenn man ein Halbfinalkandidat ist - und das ist ja immer das Mindestziel deutscher Mannschaften -, dann ist man automatisch auch ein Titelfavorit. Wir haben ja in Sydney gesehen, wie wenig dazwischenliegt zwischen einer Medaille und Platz 4 oder 5. Die Entscheidung fällt im Kopf.

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