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„Wir waren die abwehrstärkste Mannschaft“

Interview mit Herren-Bundestrainer Markus Weise nach dem Triumph von Peking

 

Zwei Mal zu Null gegen einen spanischen Weltklassesturm – wie geht das?

Weise: Das ist schwierig. Man muss es hinkriegen, sie aus dem Kreis zu halten. Das ist uns beide Male relativ gut gelungen. Die paar Mal, wo es nicht geklappt hat, haben entweder die Eckenabwehr oder Max Weinhold sehr gut funktioniert. Insgesamt also eine extrem gute Abwehrarbeit. In der Offensivleistung war es im Finale nur rund 20 Minuten so, wie wir uns das vorgenommen hatten. Nach dem 1:0 wurde es zeitweise Verwaltungshockey. Das haben wir in der Halbzeitpause versucht zu ändern. Da ging es eigentlich nur um zwei Dinge: Wie wir gegen das erwartete Pressing der Spanier agieren und dass wir auf ein 2:0 spielen wollen anstatt passiv. Die ersten 20 Minuten der zweite Hälfte hätten wir Spanien gerne noch viel mehr beschäftigt, am Ende wurde es dann wieder besser.


Dass das Turnier nicht ohne Schwierigkeiten für Ihr Team startete, schien Ihnen gerade recht zu kommen.

Weise: Schon mit dem Korea-Spiel war die Mannschaft auf einen guten Weg gekommen. Wir hätten das Spiel durch unsere Chancenplus gewinnen können, haben aber zwei vermeidbare Treffer kassiert. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass es nur 3:3 ausgegangen ist. Die daraus resultierende klare Drucksituation, gegen Spanien gewinnen zu müssen, ist für die mentale Behandlung der Situation eher besser als schlechter. Es herrscht Klarheit und gibt keine Rechenspiele.


Diese Klarheit lautete so, dass das Spanien-Vorrundenspiel so etwas wie ein Achtfinale war.

Weise: Die Spieler haben diese Begrifflichkeit vom Achtel- und Viertelfinale benutzt, nicht ich. Aber es war ja korrekt: Bei Niederlagen gegen Spanien und Neuseeland wären wir aus den Medaillenspielen raus gewesen. Die Mannschaft braucht diese Drucksituation.


Aber sie brauchte offenbar auch eine Krisensitzung in der Tiefgarage des Olympischen Dorfes.

Weise: Für mich war das keine Krisensitzung. Es muss doch mal möglich sein, dass eine Mannschaft, die so viele erfahrene Spieler hat, manches auch alleine bespricht und nicht immer alles über den Trainerstab laufen muss. Man kann als Trainer leicht sagen: Männer, das müsst ihr besser machen. Es ist in meinen Augen aber besser, wenn man die Gruppe in eine Situation bringt, wo sie die Sachen selbst regelt. Ich habe nach dem Belgien-Spiel gesagt, dass wir heute keine Videobesprechung machen, sondern sie sich doch selbst mal zusammensetzen sollen und habe ihnen sogar einen Ort für dieses Meeting vorgeschlagen.


Und was ist dort besprochen worden?

Weise: Ich weiß es nicht, ich habe auch nicht danach gefragt.


Vor vier Jahren gab es auf dem Weg zum Olympiasieg der Damen auch einmal eine interne Aussprache ohne den Trainer.

Weise: Richtig. Die Situation ist vergleichbar.


Anders als die Athen-Mannschaft, die nicht die beste des Turniers war, aber die Gunst der Stunde nutzte, ging Ihr heutiges Team von vornherein als Mitfavorit an den Start.

Weise: Das Ziel, in Peking Gold zu holen, ist vor längerer Zeit formuliert worden. Mehr in den Vordergrund gerückt ist dann die Frage, welche Jobs notwendig sind, um an das Ziel zu kommen. Das Wie ist sehr viel wichtiger. Immer nur von Gold zu reden, ist unkonkret im Sinne des Verhaltens. Deshalb haben wir auch viel mehr auf der Handlungsebene gesprochen als vom Ziel. Das Ziel Gold haben auch vier, fünf andere Mannschaften. Unterscheiden vom Gegner muss man sich im Wie und den Handlungen auf dem Weg zum Ziel. Ich habe von den Jungs in der Olympiavorbereitung in Gruppenarbeit mal aufschreiben und lassen, wo denn unsere Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz liegen. Wir haben dann gesagt, dass wir in der letzten Phase den vollen Fokus auf unsere Stärken legen und nicht versuchen, unsere Schwächen auszumerzen. Festzuhalten bleibt, dass sich hier in Peking die Mannschaft durchgesetzt hat, die am besten ihre Stärken einbrachte. Wir haben die Champions Trophy 2007 gewonnen, weil wir die abwehrstärkste Mannschaft waren. Und das war jetzt wieder so. Erfolgreich abzuwehren ist etwas leichter als sehr gut anzugreifen.


Der Inbegriff dieser Abwehrstärke schien neben den stark aufspielenden Defensivroutiniers Timo Wess, Sebastian Biederlack und Philipp Zeller der junge Max Müller zu sein. Haben Sie ihm solch eine überragende Turnierleistung zugetraut?

Weise: Ja, sonst hätte ich ihn nicht aufgestellt, wenn ich da kein volles Vertrauen gehabt hätte. Man muss dazu auch bedenken, dass Max als Innenverteidiger mit Nebenmann Timo der einzige Feldspieler war, der alle sieben Spiele komplett durchgespielt hat.


Wie sahen Sie die Konkurrenz?

Weise: Ich fand Holland echt enttäuschend, mit zwei Ausnahmen: Timme Hoyng und Robert van der Horst haben ein Topturnier gespielt, aber damit ist die Liste der Guten bei Oranje auch schon fast abgearbeitet. Die Australier haben ein für sie ganz typisches Turnier gespielt. In der Vorrunde und im Spiel um Platz 3 haben sie die Gegner fast nach Belieben weggeschossen, aber wenn es ans Eingemachte geht, sind sie anfällig, wie das 2:3 nach 2:0 im Halbfinale gegen Spanien zeigte. Nur Athen 2004 war eine Ausnahme bei ihnen: holpriger Start und am Ende zwei Topspiele – das war der Olympiasieg.


So ähnlich wie jetzt bei Deutschland.

Weise: Ich finde, es hilft, wenn du zwischendurch mal in der Klemme sitzt. Bei lauter leichten Siegen guckst du nicht mehr genau hin. Dann hat man schon den ersten Zeitpunkt des Intervenierens verpasst. Irgendwann hast du den großen Klotz am Bein und bekommst ihn nicht mehr bewegt. Wir haben die einzelnen Spiele hier sehr gut vorbereitet, nicht nur hockeytechnisch, sondern auch mental. Ich habe während des gesamten Turniers meine Hauptaufgabe darin gesehen, dass sich die Ansammlung von starken Spielern, Querköpfen und Patienten irgendwann zu einer Einheit zusammenfindet und sogar Freude an sich selbst empfindet.


Das Vorrundenspiel gegen Spanien war der Knackpunkt. Eine Niederlage hätte das vorzeitige Aus bedeutet. Ging es da auch um Ihren Job?

Weise: In solch einer Situation wird man gerne mal an die Wand genagelt. Es ist immer die Frage, wie viel Nägel auch beim Präsidium einschlagen. Für mich ist es immer wieder sehr schade zu beobachten, wie extrem so eine Trainerfunktion von Platzierungen abhängt und wie wenig geurteilt wird, wie der Job ausgeübt wird.


Ist das beim Deutschen Hockey-Bund auch so?

Weise: Nein, bei uns ist das anders. Ich habe mich nicht unter Druck gefühlt. Trotzdem hat man so seine Zweifel und überlegt kurz, wie so ein Turnier noch vernünftig zu Ende zu bringen wäre, wenn man nicht ins Halbfinale kommt. Das ist schon ein schmaler Grat. Ich bekomme das einigermaßen gut hin, mich mit diesen negativen Gedanken nicht zu lange zu beschäftigen. Könnte ich das nicht, würde ich meinen Job nicht gut genug machen.


Kann es sein, dass der Triumph von Peking ohne das Scheitern bei der EM 2007 nicht zustande gekommen wäre?

Weise: Die EM war sogesehen absolut hilfreich. Es ist ein Riesenunterschied, ob du den Weltmeister gibst oder wieder ein neues Ziel verfolgst. Wir haben in der Phase nach der WM 2006 den Weltmeister gegeben. Das ist kein Vorwurf, sondern menschlich und normal, dass man innerhalb eines halben Jahres nicht alles abhaken und sofort umschalten kann.


Sie unterscheiden sich in Ihrem Arbeitstil sehr extrem von Ihrem Vorgänger Bernhard Peters. Wie macht man aus einer Peters-Mannschaft eine Weise-Mannschaft?

Weise: Tja. Erstmal liefert man am Anfang durch viele Fehler und Versäumnisse ein Katastrophenergebnis. Absicht war es sicher keine. Ich hätte in Manchester gerne ein besseres Ergebnis erzielt. Es gab ja eine ziemlich gute Aufarbeitung, die nicht schmerzfrei für alle Beteiligten war, die aber zu einer positiven Dynamik geführt hat. Diese Tendenz hat sich gleich bei den Arbeitslehrgängen gezeigt. Und dass der Mannschaft sehr daran lag, alles zu tun, um über die „Ehrenrunde“ in Japan doch noch nach Peking zu kommen. Die Drucksituation im Endspiel der Olympiaqualifikation war ja durchaus mit der in Peking zu vergleichen.


War der Misserfolg von Manchester nötig, um auch personell umzustellen, oder braucht man als neuer Trainer Zeit?

Weise: Beides. Es war ein schwieriger Start für mich mit der Mannschaft, ich hätte sie am Anfang etwas härter angehen können. Und vielleicht auch früher damit anfangen, Leute auszusortieren, von denen man glaubt, dass sie an einer Leistungsentwicklung nicht wirklich interessiert sind. Jeder Trainer sieht in bestimmten Spielern etwas anderes. Es hat eine Weile gedauert.


Für Ihre Olympianominierung des international unbekannten Max Weinhold anstelle von Weltmeistertorwart Uli Bubolz und auch Christian Schulte haben Sie damals ziemlich Gegenwind bekommen. Hat Ihnen das weh getan?

Weise: Es kommt drauf an, von wem die Kritik kommt. Die ganze Sache machte mir schon zu schaffen, weil ich den ganzen Entscheidungsprozess als sehr schwer empfand. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Uli Bubolz ein Toptorhüter ist, und doch habe ich mich gegen ihn entschieden. Man weiß es erst immer nach einem Turnier, ob man damit richtig lag oder nicht. Ohne Kritik kommt man in solch einer Lage kaum aus. Wenn ich andere Spieler rausnehme, gibt es einen anderen Kritikerblock. 16 (oder 18) völlig unangefochtene Spieler und dann mit weitem Abstand die nächsten fünf – das gibt es einfach nicht. Es tut mir extrem weh, denn die Nichtnominierten haben genauso viel Zeit und Opfer gebracht wie die anderen. Aber mein Job zwingt mich dazu, solche Entscheidungen zu treffen.


All Ihre Personalentscheidungen für Peking haben sich schließlich als goldrichtig erwiesen.

Weise: Ich glaube, so eine Gruppe hat immer eine Dynamik, und es ist erst ganz zum Schluss ein Team, das zu Höchstleistungen fähig ist. Vorher gibt es immer wieder Prozesse, man fällt auch mal um einzelne Stufen zurück. Das ist hier über elf Tage hinweg passiert. Ab morgen gibt es diese Mannschaft nicht mehr. So ist das im Leistungssport.


Als erster Trainer haben Sie Frauen und Männer zum Hockey-Olympiasieg geführt. Wie ähnlich oder wie unterschiedlich haben Sie die beiden Triumph erlebt?

Weise: Das sind schon eindeutige Unterschiede. Vor vier Jahren war es eine völlige Überraschung. Diesmal war die Ausgangssituation von vornherein anders. Da ist es dann keine Überraschung mehr, aber trotzdem toll, wenn man so etwas hinbekommen hat. Mehr als auf die Medaillen bin ich stolz auf die Leistung der Mannschaften.


Uli Meyer

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19. September 2024
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