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„Das war überhaupt nicht abzusehen“

Interview mit Bundestrainer Michael Behrmann nach dem Spiel um Platz 3

 

23.08.2008 - Ihre Mannschaft hat in den beiden Medaillenspielen nicht mehr an die Leistung der Gruppenphase anschließen können. Woran lag’s?

Behrmann: Ich sehe den Unterschied nicht so extrem, höchstens in den Ergebnissen. Die Vorrunde war ja von der spielerischen Leistung auch nicht immer so der Volltreffer. Es gab immer mal Phasen, wo wir sehr gut gespielt haben, aber auch Phasen, wo wir nicht das gespielt haben, was wir wollten und können. Insofern war es im Halbfinale gegen China vom Leistungsniveau ähnlich. Natürlich war die Situation dort mit dem noch größeren Druck, einem stärkeren Gegner und den Zuschauern anders.

Aber die erste Halbzeit im Bronzemedaillenspiel fiel schon deutlich ab, oder?

Behrmann: In der ersten Hälfte schien meine Mannschaft überhaupt nicht auf dem Platz zu sein. Das war auf alle Fälle unsere schlechteste Halbzeit in diesem Turnier. Ich kann mich nicht daran erinnern, das Team jemals so schwach gesehen zu haben. Solche mentalen Aussetzer kann man sich in einem olympischen Medaillenspiel nicht leisten.

Haben Sie das befürchtet? Wie war Ihr Gefühl unmittelbar vor Spielbeginn?

Behrmann: Eigentlich nicht schlecht. Wir waren alle sehr guter Dinge, die Spielerinnen haben in der Vorbereitung und beim Warmspielen alle einen sehr konzentrierten Eindruck gemacht. Alle waren heiß. Das war also überhaupt nicht abzusehen, was dann passierte. Und ein 0:2 gegen Argentinien aufzuholen ist eben eine schwere Sache.

Wie fällt Ihr Turnierfazit aus?

Behrmann: Um ein richtige Bilanz zu ziehen, benötigt man natürlich erst einmal Abstand. Da gibt es dann in Ruhe viel zu analysieren: die Taktik, die Strafecken, das Personal. Ich denke, dass man den Jungen überhaupt keinen Vorwurf machen kann. Die haben sich hier sehr gut verkauft und in ihrem Bereich gut gespielt. Wir brauchen den Rahmen durch die erfahreneren Spielerinnen. Diesen Rahmen konnten wir in der ersten Halbzeit des kleinen Finales überhaupt nicht vorgeben. Wenn der Rahmen aber nicht stimmt, wird es auch für die Jungen schwierig. Die sind dann doch noch nicht so weit, dass ich hier Führungsansprüche erwarten darf. Mit der sehr wertvollen Erfahrung solch eines Turniers werden sie in der Zukunft vielleicht die maßgeblichen Kräfte sein. Wir werden mal sehen, ob die älteren Spielerinnen nicht doch noch ein bisschen weitermachen.

Sind denn Rücktritte oder Abschiede zu erwarten?

Behrmann: Ich habe hier in Peking keine solchen Gespräche geführt. Es ist auch jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Jeder muss das alles jetzt in Ruhe verarbeiten und für sich eine Entscheidung treffen. Das gilt genauso für uns von der Teamleitung. Auch wir werden uns in Ruhe überlegen, wie und mit wem wir weitermachen werden. Und ob wir andere Spielerinnen aufbauen wollen für die nächsten vier Jahre. Diesen ganzen Prozess muss man mit dem nötigen Abstand angehen, da sind keine Schnellschüsse zu erwarten. Ich werde erst einmal zwei Wochen mit der Familie Urlaub machen und mich zu erholen versuchen.

Liegt in diesem Jahr noch etwas an?

Behrmann: Es wird im Oktober den üblichen Athletiklehrgang geben, zu dem wir den Kader für die Europameisterschaft 2009 zusammenholen werden. Gedanklich kann man sich neben der EM auch schon mal auf das nächste ganz große Turnier vorbereiten, die WM 2010 in Argentinien. Für die Spielerinnen ist das sicherlich auch ein Highlight, weil Damenhockey in Argentinien in der Bevölkerung ganz hoch angesiedelt ist, fast so wie Fußball bei uns. Da sind nicht nur die argentinischen Hockeyspielerinnen Stars, auch die Spielerinnen anderer Nationen werden um Autogramme gebeten. Und das Stadien ist im Gegensatz zu hier voll.

Diesbezüglich war Olympia 2008 schon ein ernüchterndes Erlebnis.

Behrmann: Als ich kurz vor Spielbeginn auf die Tribüne geschaut habe, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein: ein weitgehend leeres Stadion, keine 2000 Leute bei einem Spiel um eine olympische Medaille. Unglaublich! Und unsere Leute standen teilweise vor den Zäunen und hatten keine Karten, weil offiziell alles ausverkauft war. Das ist bitter.

Trotz Platz vier kommt der Damen-Bundestrainer nicht ohne Medaille nach Hause.

Behrmann: Meine Familie hat mir diese Medaille mit dem Bild meiner Kinder Lisa und Tim vorne drauf schon vor der Abreise geschenkt. Das ist jetzt wenigstens ein kleiner Trost für mich.

Uli Meyer

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