Hockey Nachrichten

Die „DHB-Olympia-Außenstelle“ in Peking

Interview mit Wolf-Bernhard Kersten vom UHC, Prof. of Economics in Tianjin/China

 

Herr Kersten, Sie sind „Professor of Economics“, lehren und leben in China seit vielen Jahren und jetzt sind Sie der DHB-Mann vor Ort in Peking für die Olympischen Spiele. Wie kam es dazu?

WBK: Im Stenogramm: Ich spiele seit über 50 Jahren Hockey, war selbst lange Zeit Trainer, bin seit 20 Jahren im UHC, habe das Hamburg-Masters-Turnier in den Anfangsjahren mit organisiert, lebe seit 2001 überwiegend in China, bin mit Wolfgang Rommel, dem Ehren-Vorsitzenden des DHB eng befreundet, und der hat Uschi Schmitz, der Vorstands-Vorsitzenden des DHB, geraten, mich anzusprechen, ob ich nicht bei der Vorbereitung der Olympischen Spiele in Peking dem DHB helfen könnte. Das mache ich natürlich gerne.

Was genau lehren Sie als BWL-Professor in China?

WBK: Ich lehre „Enterprise Risk Management“ (ERM), „International Marketing“ und „International Finance“ an verschiedenen Universitäten in Tianjin, Peking, Xiamen, Shanghai und komme dadurch viel rum in China. Seit 2002 arbeite ich auch als Lehrbeauftragter an der WISO der Uni Hamburg, dort im Bereich International MBA. ERM ist die derzeit modernste und effektivste Form der allgemeinen BWL, ein ganzheitlicher Ansatz, der alle Funktionalen unter dem Risiko-Aspekt untersucht und Lösungen anbietet. Global operierende „Multinationals“ folgen diesem Konzept seit Jahren.

Wann und warum sind Sie nach China bekommen und wo leben Sie dort?

WBK: Im Jahre 2001, nach dem WTO-Beitritt Chinas, bin ich nach Tianjin gekommen, eine der 4 „Municipalities“ (vergleichbar unseren Stadtstaaten) Chinas, 120 km südöstlich von Peking gelegen, knapp 11 Millionen Einwohner, und wirtschaftlich das Drehkreuz Nord-Chinas. Diese Stadt wickelt etwa 35 Prozent aller Im – und Exporte Chinas ab. Tianjin ist übrigens auch Olympia-Stadt, hier werden diverse Fußball-Spiele ausgetragen. Ich habe vorher 27 Jahre für einen großen deutschen Versicherer im Bereich „Kreditversicherung“ gearbeitet und war zwischen 1996 und 2003 für die Entwicklung in Asien verantwortlich, habe zahlreiche Firmen gegründet und Lizenzen besorgt in Singapur, Hongkong, Taiwan, Korea, Japan und ab 2001 dann in China.

Seit 2004 bin ich Professor of Economics in China, ich arbeite aber auch als Berater, d.h. ich helfe westlichen wie chinesischen Firmen und Institutionen, entweder nach China zu kommen oder westliches Management – oder das Kultur - Denken zu verstehen und anzuwenden. Da ich schon lange hier lebe, kann ich viele Informationen erheblich effizienter anbieten. Man muss nicht unbedingt teure Unternehmensberatungen oder Steuerexperten beauftragen, zumindest nicht am Anfang. Insgesamt habe ich bis jetzt über 100 China-Projekte betreut.

Und wie ging es dann mit dem DHB weiter?

WBK: Im letzten August waren Wolfgang Rommel und Jo Hürter, der ehemalige Vizepräsident Finanzen des DHB in Peking zu einem FIH-Meeting, alle zum ersten Mal in China übrigens, und da habe ich sie zusammen mit meiner Assistentin Zhang, Ting, einen Tag lang durch Peking geführt. Bei 36 Grad drückender Schwüle und reichlich Luftverschmutzung.

Sie nennen Ihre Assistentin Zhang, Ting, warum nicht einfach Ting oder Frau Zhang?

WBK: Zhang ist ihr Nachname, der ist in China ebenso verbreitet wie bei uns der Name „Müller“. Es gibt in China nur etwa 100 Familiennamen. Exakt heißt sie mit Vornamen Rui Ting. Übersetzt heißt das: „Eine junge, elegant wirkende hübsche Frau“. Ihr Foto ist ja in diesem Interview mit eingebaut. In China spricht man sich immer in der Reihenfolge an: erst Nachname, dann Vorname. Das machen übrigens auch Eheleute so. Im Büro sage ich natürlich nur Ting zu ihr.

Zurück zum Besuch im August 2007 und zum Wetter: Ein kleiner Vorgeschmack auf die olympischen Spiele?

WBK: Eher wohl ein großer. Am Abend waren wir alle nach einem straffen Besuchs-Programm geschafft. Es gab danach dann viel Email-Verkehr, und im Februar habe ich mich dann mit Uschi Schmitz, Rainer Nittel, dem DHB-Sport-Direktor und Michi Behrmann, unserem Damen-Trainer, am Rande der Hallenendrunde in Hamburg getroffen, und wir haben gemeinsam erste Pläne entworfen.

Michi Behrmann und Rainer Nittel waren ja im Februar in Peking zu einem Kurz-Besuch mit dem Deutschen Olympischen Sportbund.

WBK: Ja, da haben Ting und ich die beiden zwei Tage lang durch Peking geführt und Ihnen geholfen, den ersten Kulturschock zu überwinden. Dabei entstand dann eine erste längere Liste von Zielen und Aufgaben, die wir hier für den DHB übernehmen sollen.

Fangen wir mit den Zielen an, welche sind das?

WBK: Rainer Nittel und ich haben vier Ziele definiert: Erstens optimieren wir für den DHB – das sind die Mannschaften und der Betreuerstab – alle Informationen über China, über Peking, zur Logistik und zur Infrastruktur. Zweitens sorgen wir für den Know-How-Transfer zu kulturellen und politischen Themen. Drittens wollen wir helfen, Kosten zu sparen, und viertens sehen wir uns als Feuerwehr, vor und während der Spiele.

Also zusammengefasst: wir helfen dem DHB, einen Wettbewerbsvorteil zu bekommen. Je besser wir die Mannschaften und den Betreuerstab emotional und mental auf Peking 2008 vorbereiten, desto gelassener werden die Spieler und Spielerinnen, und umso mehr konzentrieren sie sich auf die Spiele. Unsere Hilfe ist völlig legitim und es wäre eine Verschwendung von Ressourcen, es nicht zu tun.

Die Ziele leuchten ein. Sagen Sie doch mal Beispiele für die Aufgaben.

WBK: Bierbänke besorgen für die Mannschafts-Besprechungen im olympischen Dorf. Eine Düsseldorfer Zeitung hat mich im März dann als „Bierbank-Professor“ betitelt. Es ist nicht sonderlich schwer, so was zu besorgen, es gibt nahezu alles hier in Peking. Sogar Hockey-Equipment gibt es, allerdings preislich auf West-Niveau.

Von Deutschland aus das alles zu organisieren, das wäre sehr kompliziert und wesentlich teurer. Aber die Liste ist schon länger: DVD-Recorder, passend zum chinesischen TV-Gerät kaufen, Ansteck-Pins mit DHB-Olympia-Logo entwerfen und produzieren lassen, Eisbottiche für die Spieler, Video-Leinwände, natürlich Tickets oder Hotelbetten besorgen, was überaus schwierig ist, eben das Typische, was National-Mannschaften oder Orga-Teams so brauchen bei so einem Turnier.

Okay, mal was Schwereres.

WBK: Wichtig sind z.B. zweisprachige DHB-Visitenkarten in Englisch-Chinesisch, das erleichtert vieles. Ohne Visitenkarte ist man hier ein Nobody. Aber auch das sind Fingerübungen für uns, viel entscheidender ist, dass wir uns Gedanken machen, über Plan B.

Und wer macht den Plan A?

WBK: Den machen das IOC und die FIH, und natürlich auch die Chinesen, und das wird schon alles funktionieren. Aber bei olympischen Turnieren entscheiden die berühmten Kleinigkeiten. Konkret: Wenn Probleme auftreten, müssen wir vorbereitet sein, schnell zu reagieren und nicht erst den in China regelmäßig ewig langen Dienstweg abwarten. Meine Assistentin Ting und ich verstehen uns hier in China als die, die an all das denken, was keiner bislang in Deutschland geplant hat bzw. schlicht hat planen können. So viele deutsche Hockeyspieler in China gibt es ja nicht, und im DHB ist ja auch kein China-Experte vorhanden. Wir verfügen hier über das Netzwerk, das berühmte „guanxi“. Wir wissen, wie man hier überlebt. China ist immer noch ein Entwicklungsland, und ein Mittelding zwischen kommunistischer Planwirtschaft und Kapitalismus mit den bekannten Auswirkungen und Auswüchsen. Die Verpackung bedeutet hier alles im Denken der Menschen, und wir wollen sichergehen, dass der DHB auf alles vorbereitet ist. Nach dem Motto: no surprise! Chinesen sagen immer schnell: „mei wenti“ – kein Problem, aber natürlich wird es die geben.

Englisch sprechen Sie, Herr Kersten, wie steht es mit dem Chinesischen aus?

WBK: Ja, ich spreche Englisch wie Deutsch, auch Französisch, in China aber zu 90 Prozent nur Englisch, meine Vorlesungen sind alle auf Englisch. Mein Chinesisch ist gut genug, um zu überleben, ich bin also auf dem Stand eines siebenjährigen Jungen. Chinesen nennen das gerne „Mama-Huhu“. Aber meine Assistentin, die BWL studiert hat, spricht natürlich Chinesisch, gut Englisch und etwas Deutsch, und die Nabelschnur der Kommunikation in China ist immer das Mobil-Telefon. Wir werden also für die Betreuer und die Mannschaften aufgeladene chinesische SIM-Karten besorgen, damit eine schnelle und kostengünstige Kommunikation untereinander möglich ist.

Planen Sie auch Freizeitprogramme ?

WBK: Ja, wir werden vor den Spielen, also zwischen 1. und 8. August Halbtages-Touren anbieten, einmal zum Jingshan- und Beihai-Park, das ist das geografische Zentrum Pekings mit anschließendem Bummel durch die „Verbotene Stadt“, und einmal könnten wir zum „Temple of Heaven“ fahren der im Süden Pekings liegt, ein riesiger Park mit unendlich viel chinesischer Kultur.

Die Mannschaften wollen ja auch vielleicht Shoppen gehen?

WBK: Planen wir auch mit ein, das wird dann etwas stressiger für meine Assistentin und mich, denn in Peking muss man schon wissen, wo man was einkauft. Shopping ist mühsam, denn hier wird hart und lange gefeilscht. Und wenn eine „Langnase“ – so nennen die Chinesen uns westliche Ausländer – ins Geschäft geht, dann verdoppeln sich die Preise automatisch. Das wollen wir natürlich korrigieren.

Stichwort Chinesische Mauer. Ein Muss für alle Besucher Pekings. Auch bei Ihren Plänen dabei?

WBK: Ja, jeder will da hin, auch das planen wir. Das wäre dann ein Tagesausflug und der wird eher sportlich zu sehen sein. Wir könnten nach Badaling im Norden Pekings fahren, und dann die Mauer besteigen, sofern die Trainer das zulassen, was ich im Moment eher nicht sehe.

...und wieso sportlich?

WBK: Die Große Mauer ist dem Grunde nach eine ewig lange Treppe mit ausgetretenen Stufen, und bei 36 Grad werden dann mit uns etwa weitere 50.000 Menschen gleichzeitig die Mauer besteigen, es wird also viel Körperkontakt geben bei dem Gedränge und Geschiebe. Wenn es regnen sollte an dem Tag, werden wir das nicht tun, dazu ist die Mauer zu gefährlich, denn die Treppen sind nicht nur ausgetreten, sondern auch z.T. extrem steil und zudem schmierig.

Frage zum Hockey. In China eine populäre Sportart?

WBK: Hockey kennt hier kein Mensch. Chinesen lieben Tischtennis, Badminton, Basketball, Volleyball, Fußball und alle die Sportarten, bei denen Chinesen gewinnen werden oder wollen. Ich muss den Chinesen immer erklären, dass deren eigene Damen-Mannschaft in der Weltspitze mitmischt, das weiß hier keiner. Ich selbst kann hier nicht Hockey spielen, es gibt schlicht keine Vereine, also spiele ich Tennis und Golf und gehe Schwimmen.

Haben Sie die chinesischen Hockey-Herren mal spielen gesehen? Die sind ja durch den Ausrichter-Bonus automatisch spielberechtigt und gegen die müssen unsere Herren nach der Auslosung antreten.

WBK: Ja, gegen Australien im letzten August, da gab es für die Chinesen eine böse 1:9-Klatsche. Die erinnerten mich an die Anfangszeiten Koreas im Welthockey: sie laufen und kämpfen wie verrückt, aber sie konnten das Tempo nicht variieren. Wenn sie doch mal in den Schusskreis gelangten, dann immer mit vollem Speed, und da kann man ja bekanntlich schlecht abschließen. Stocktechnisch und im Schusskreis waren die damals weit vom Weltniveau entfernt. Interessant war damals das taktische Verhalten: die Aussies haben denen fünf Mal eine Falle gestellt: die ließen die Chinesen deren erste 4- Kette locker überwinden, alle Chinesen rückten nach, die zweite 4-er Kette der Aussies fing programmgemäß ab, und ab ging die Post mit Kontern und Überzahl der Australier.

Inzwischen haben die Chinesen das erkannt und daraus gelernt. Das konnte man jetzt beim Turnier in Australien im April sehen, da haben die Aussies schon Mühe gehabt, kurz vor Schluss noch den Rückstand in eine 2:1-Führung umzudrehen. Und deren koreanischer Coach wird denen in Zukunft verbieten, solche taktischen Fehler zu machen, da bin ich mir sicher. Die Chinesen werden noch eine Rolle spielen im Olympischen Turnier. Chinesen lernen schnell, und der Gesichtsverlust ist das Schlimmste, was einem Chinesen passieren kann. Also aufpassen und nie unterschätzen. Ich hörte, die trainieren vergleichbar einer Armee-Kompanie streng kaserniert, und bis zu acht Stunden am Tag. Sie zerlegen das gesamte Spiel in Standards, die sie bis zum Abwinken einüben. Sie sehen sich alle Super-Spieler der Welt im Video an, u.a. auch Christopher Zeller, und am nächsten Tag wird versucht, das nachzuahmen. Chinesen kopieren eben alles, was exzellent ist. Und dabei lernen sie.

Ich hab da aber keine Sorge für unsere „Jungs“: Was Chinesen schwer lernen können, ist intelligente Kreativität, oder als Spieler ein Star zu sein. Das verbietet die chinesische Kultur. Als Team allerdings sind sie bei ihrem Heimvorteil und mit ihren gedrillten Laufwegen und Standards nicht zu unterschätzen. Und: sie kennen die Umwelt, und sie sind vertraut mit den klimatischen und den Smog-Problemen.

Ein paar Worte zum Verhältnis der Chinesen zu uns Deutschen?

WBK: Gut. Historisch ist das nie belastet gewesen im Gegensatz zu Japan zum Beispiel. Deutsche werden bewundert. Besonders die Technik, die Disziplin, die Härte, das „Nie-Aufgeben-Wollen“. Bestes Beispiel waren die Damen-Fußballerinnen bei der WM in China, da bekommt man als Deutscher Kult-Status zugesprochen, und auch im April, nach der Qualifikation der Herren in Japan mit Null Gegentoren, ging das hier durch die Presse. Aushängeschild ist die deutsche Technik, die Ingenieurskunst: Über die Hälfte der Autos in Peking sind deutsche Marken, zum großen Teil in China hergestellt. Die stehen dann alle brav nebeneinander im Stau jeden Tag. Meine Studenten nennen mich z.B. respektvoll: „Professor German Machine“.

Eine schwierige Frage: Ihre Meinung zu einem möglichen Boykott aufgrund der Tibet-Krise?

WBK: Einen Boykott halte ich für Schwachsinn, aus mehreren Gründen. Wer so was fordert, hat keine Ahnung von China, von seiner Historie, den Denkstrukturen. Man wusste ja vorher, in welches Land man die Spiele vergibt, und dass es in China viele Spannungen und keine Demokratie gibt, wusste man auch. Ich hab auch noch keinen Artikel gelesen, der plausibel erklären konnte, welchen Nutzen ein Boykott für die Tibeter bringen soll. Viel entscheidender ist aber, dass – will man verändern – miteinander reden, also präsent sein muss.

Mit Davonlaufen löst man keine Probleme. Chinesen sind in dem Punkt auch sehr nachtragend. Wer nicht kommt, wird auch später nicht eingeladen. Ich bin z.B. in einer Kommission, in der die Probleme Chinas innerhalb der World Trade Organisation (WTO) behandelt werden, und da wird völlig offen und kritisch diskutiert. Die heutige Führungselite Chinas ist ja zum großen Teil auch im Westen ausgebildet worden, mit denen kann man reden, aber eben nicht über die Medien. Hinzu kommt: Viele Nachrichten in der westlichen Presse zum Tibet-Thema waren eindeutig falsch, und die in der chinesischen Presse sind natürlich auch alle gefiltert und zensiert.

Olympische Spiele sind für Sportler gemacht und nicht für Politiker, aber natürlich haben Olympische Spiele auch eine politische Dimension – an das Gegenteil zu glauben, wäre naiv. Aus meiner Sicht wäre das Gegenteil von Boykott richtig: Alle sollen kommen und miteinander reden. Veränderungen in China erfolgen nur über die Kontakte zur Jugend hier vor Ort, nicht durch populistische Forderungen westliche Politiker. Die sollten sich auch erst mal richtig informieren und dann hier erscheinen. Druck erzeugt Gegendruck, das sieht man hier in China ständig.

Zurück zum Hockey: die Hockey-Anlage haben Sie schon gesehen?

WBK: Ja, beim olympischen Vorbereitungsturnier im letzten August und jetzt jüngst im Mai. Die Kunstrasen-Oberfläche war noch ziemlich scharfkantig, hier wird man vorbereitet sein müssen. Handschuhe, Knieschoner, halblange Hosen sind sicher sinnvoll.

Wie sollten sich unsere Mannschaften auf das Turnier vorbereiten?

WBK: Physisch in Höchstform, das ist klar. Viel wichtiger wird sein, mental mit dem Stress umgehen zu lernen, ihn positiv umzusetzen, den Lagerkoller zu vermeiden und auf das Klima vorbereitet zu sein. Wir werden vielleicht bis zu 40 Grad Luft-Hitze haben, auf dem Platz sind das dann knapp 60 Grad. Der Rasen wird eventuell zu viel Wasser verlieren, also trocken werden an manchen Stellen. Aber mit Hitze umzugehen, kennen unsere Mannschaften auch aus anderen Ländern. Die größte Gefahr ist die zu vermutende Luftverschmutzung kombiniert mit der Schwüle und der hohen Luftfeuchtigkeit, besonders am Morgen. Das wird das größte Problem. Peking liegt ja am Rande der Wüste Gobi, geografisch auf der Höhe Madrids und nicht am Meer. Wir werden also kaum Wind haben. Hoffentlich fällt während des Turniers kein Regen.

In den Medien steht aber, die Chinesen planen die „Green Olympics“ mit halbwegs sauberer Luft. Sehen Sie das anders?

WBK: Ich wünsche es, und ich bin sicher, es wird viel getan werden, aber ich glaube nicht unbedingt daran. Wir leben hier in einem Großraum mit drei Millionenstädten – Peking, Tianjin und Tangshan – das sind schon mal 34 Millionen Menschen, dazu noch die umliegende Hebei-Provinz, also noch mal rund 50 Millionen Menschen. Gesamt sind wir da bei der Bevölkerung Deutschlands auf engstem Raum. Wir haben unzählige Baustellen in allen Millionenstädten, die permanent Staub produzieren, und Millionen Autos fahren hier. Das wird zwar – hoffentlich – vor und während der Spiele reduziert, aber ob das reicht, weiß ich nicht.

Tangshan ist die Stadt, in der die Industrien angesiedelt sind, die in Peking und Tianjin aufgrund der Luftverschmutzung nicht produzieren dürfen, und von dort bläst der Westwind. Hinzu kommt: wir haben sehr oft in Peking Inversions-Wetterlagen mit Hochnebel, und der drückt den Smog runter. Rund 40.000 Firmen produzieren in diesem Zentrum, die man nicht alle still legen kann, und selbst wenn, müsste das ja acht Wochen vorher passieren. Ganz schlimm kann es werden, wenn der gefürchtete Gobi-Sandsturm rüberkommt – wir sind ja nur 80 km von der Wüste entfernt – dann ist der Himmel rostrot und man geht besser nicht auf die Straße. Von Leistungssport gar nicht zu reden.

Jüngst, beim Volkslauf rund um das Olympia-Stadion am 30. April lag der gemessene Wert der Luftverschmutzung bei 135 Grad. Maximal erlaubt sind 100, gesund sind weniger als 75. Also, in Kurzform zu Ihrer Frage „Green Olympics“: Grün werden sicher die Anlagen sein im olympischen Dorf, aber ob die Luft sauber sein wird, wage ich zu bezweifeln.

Sie sagten eben: hoffentlich fällt kein Regen.

WBK: normalerweise ist der Monsun Ende Juli vorbei, aber das kann ja anders sein dieses Jahr. Wenn der Monsun-Regen fällt, dann wie eine Wand, und in Peking sind dann in 30 Minuten alle Unterführungen der insgesamt 6 Autobahn-Ringe voll gelaufen, denn Drainagen gibt es nicht. Kommt aber dieser Monsun während der Spiele, dann haben wir zwei Effekte: der Smog ist für zwei Tage weggespült, und der Kunstrasen eher braun und seifig. Also, man sollte sich vorbereiten auf eine Kombination aus extremer Hitze, hoher Luftfeuchtigkeit und Smog.

Wie wollen Sie die Mannschaften dann aus Ihrer Sicht und Kenntnis gedanklich vorbereiten auf das, was kommen könnte?

WBK: Na, das ist zunächst mal die Aufgabe des DHB und des Trainerstabes, und die sind professionell. Wir ergänzen hier mit unserem Wissen. Konkret führte das dazu, dass wir am Rande der Champions Trophy in Gladbach im Mai beiden Mannschaften und dem gesamten Betreuerstab im Rahmen von zwei Seminaren einen Verhaltenskatalog als Leitlinie mitgaben, um zu zeigen, was sie erwartet und was sie tun und was sie nicht tun sollten. Die Mannschaften haben Basiswissen von mir über China, Peking und die Situation vor Ort bekommen. Kernpunkt war, den Mannschaften und dem Orga-Team zu zeigen, dass wir an hoffentlich alles denken. Jetzt, nachdem die Spiel-Pläne vorliegen, haben wir sie analysiert und den Trainern unsere Einschätzung gegeben, was sie bei der Taktik berücksichtigen sollten.

Nennen Sie doch mal Beispiele.

WBK: gerne, aber nicht zur Taktik, denn hockey.de wird ja auch von anderen Teams in der Welt gelesen. Aber vor und nach den Spielen, da werden wir anbieten, dass auch mal ein deutsches Abendessen stattfinden kann in Peking außerhalb des olympischen Dorfes. Oder: Wir werden die Mannschaften begleiten zum Empfang des deutschen Botschafters, Michael Schäfer, den ich gut kenne. Wichtiger ist, dass wir all das besorgen, was das Leben in den Wohnungen im olympischen Dorf angenehm macht, denn viel rauskommen werden die Spieler nicht. Wobei ich betonen muss, dass das olympische Dorf wirklich angenehm wirkt, und die Zimmer durchaus Hotel-Standard haben. Wir haben z.B. einen deutschsprachigen Peking-Führer mit CD-ROM mit nach Deutschland gebracht im Mai, und wir werden den Olympia-Führer der deutschen Industrie- und Handelskammer besorgen. Wichtig für uns war, dass wir in den Gesprächen im Mai von den Mannschaften erfahren haben, was die gerne wollen, was sie brauchen und welche Erfahrungen sie von vergleichbaren Großveranstaltungen bereits hatten.

Und wenn dann doch mal Freizeit ist, und jemand in die City fahren will ?

WBK: Auch daran werden wir denken, aber während des Turniers wird das wohl kaum klappen. Und ich würde das als Trainer auch nur zögerlich befürworten. Aber wenn doch, dann sollte man grundsätzlich nie alleine losziehen, man geht leicht verloren in Peking, die Stadt ist riesengroß, hat mehrere Zentren, und „erlaufen“ wie zum Beispiel das Zentrum in Shanghai kann man es nicht. U-Bahn oder Taxi fahren muss man erst lernen, aber das werden wir den Mannschaften zeigen. Ansprechen kann man die Chinesen zwar, sie sind auch generell freundlich, aber Englisch sprechen hier nur ganz wenige Leute. Das Problem in Peking beginnt dann, wenn man Hilfe braucht, warum auch immer.

Spüren sie denn die Begeisterung der Chinesen für Olympia ?

WBK: Jeden Tag, seit Ende der Spiele in Athen vor vier Jahren ist die Begeisterung riesengroß und euphorisch. Natürlich betrifft das auch die Werbung und die Propaganda, die nervt manchmal. Aber den Stolz einer Nation, die vor knapp 25 Jahren noch bettelarm war, die im Laufe der unsäglichen Kultur-Reform Mao Tse Tungs bitter hat leiden müssen, um jetzt zu sehen und zu fühlen, dass China den Respekt bekommt, den es verdient, das ist schon beeindruckend. Und so wie ich China kenne: Die werden sich extrem bemühen, alles bestens zu organisieren, freundlich, perfekt zu sein. Inzwischen haben sie sogar angefangen, die Leute mit Megaphon an den Bushaltestellen aufzufordern, sich in Reih und Glied zu stellen und nicht wie sonst, sich boxend und rüde schiebend einen Vorteil zu verschaffen.

Ist Peking sicher für Ausländer?

WBK: Schwierige Frage: Solange ich hier bin, war und ist Peking für uns Ausländer eine sichere Stadt. Ich bin mir sicher, es wird von Polizei – in Uniform und auch ohne – nur so wimmeln. Man muss sich natürlich auch richtig verhalten, seine Wertsachen nicht offen rumzeigen, aber das mache ich in Hamburg ja auch nicht. Gleichwohl, und jetzt der Unterton: Es gab bereits sehr konkrete Vorfälle und Hinweise – auch in meiner Stadt Tianjin – dass der allgegenwärtige Secret Service gut beraten ist, konkret Unruhestifter zu entdecken. Da gibt es Strömungen und offenbar Interessenverbände, die mir und den Chinesen nicht gefallen.

Eine Lehre, die ich aus der Tibet-Krise gezogen habe, ist die, dass die Behörden in China das alles hätten vorhersehen können und müssen. Das war entweder Hybris oder Schlamperei, auf jeden Fall aber ein erhebliches Versäumnis, das Tibet-Thema seit 50 Jahren politisch nicht aufzuarbeiten. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies aber auch, dass sich hier der Kreis schließt: Chinesen müssen eben noch lernen, auch mit denen in einen Dialog zu treten, die andere, kritische Interessen vertreten, und wenn westliche Politiker in ihren Sonntagsreden zum Boykott aufrufen, dann verhalten sie sich exakt genau so, wie sie das bei den Chinesen kritisieren.

Zurück zum Hockey! Ihr Tipp: welche Mannschaften werden gewinnen?

WBK: Drei Dinge sind für mich entscheidend: Gewinnen kann erstens nur die Mannschaft, die es schafft, alle 14 Feldspieler und die beiden Torhüter bis zum Ende fit zu halten. Das bedeutet, sie so einzustellen, dass sie diszipliniert leben und spielen. Olympische Spiele sind ja keine Freizeitveranstaltung, sondern harte Arbeit. Gott sei Dank hat das IOC und die FIH jetzt zugestimmt, zwei so genannte P-Akkreditierungen zuzulassen, das sind zwei Ersatzspieler pro Mannschaft, die nur dann eingreifen dürfen, wenn sich ein Spieler so ernsthaft verletzt, dass er ausscheiden muss. Diese Ersatzspieler haben nur einen eingeschränkten Status. Der holländische Damen-Coach nimmt z.B. nur eine Torhüterin mit in die Startelf, die andere wäre dann eine P-Akkreditierte. Michi Behrmann wiederum lehnt das – wie er mir sagte – ab, er will ganz im Gegenteil eventuell sogar pro Halbzeit die Torhüterinnen tauschen.

Zweitens wird die medizinische Abteilung erheblich mitentscheiden. Drittens sind die Spieler mental so optimal vorzubereiten, dass sie robust bleiben, analytisch und emotional wissen, dass es wehtun wird, clever und hart sein im Spiel, dabei aber nicht unfair spielen, und trotzdem Spaß haben und locker bleiben. Eine schwierige Kiste. Aber unsere Kader sind intellektuell auf einem sehr hohen und erfahrenen Niveau, die werden sich schon selbst organisieren. Dieser Punkt war übrigens der Kern aller Fragen der Mannschaften bei beiden Seminaren im Mai in Gladbach.

Noch einmal zu den klimatischen Problemen: Was sollte man wissen als Spieler oder Spielerin?

WBK: Den richtigen Umgang mit der Hitze, der Schwüle und der Luftverschmutzung zu lernen. Beispiel: In China sind Taxen und Büros im Sommer bei einer Außentemperatur von 36 Grad runtergekühlt auf 20 Grad, man rennt also dauend gegen eine Klimawand. Folge: Viele Menschen haben eine chronische Erkältung im Sommer. Die Klima-Anlagen in den Wohnungen des olympischen Dorfes sollten also auf etwa 24 bis 25 Grad eingestellt werden von den Mannschaften, und im Besprechungsraum – der mit den Bierbänken – würde ich die Klimaanlage völlig ausschalten. Sich in der Hitze zu konzentrieren bei Video-Besprechungen oder bei Diskussionen, das schult ernorm. Aber das werden die Trainer entscheiden.

Extrem wichtig: die richtige Ernährung. Wasser trinken den ganzen Tag ist ein Muss. Beim Duschen den Mund zumachen, denn das Wasser ist nicht trinkbar, beim Zähneputzen Wasser aus der Flasche nehmen, die ständige Hygiene beachten, also permanent die Hände waschen, die richtige Ernährung sicherstellen, im Olympia-Dorf wird westlich und chinesisch gekocht, aber man muss eben aufpassen, dass man sich keinen Magen- oder Darmvirus holt.

Wie geht es jetzt konkret mit Ihnen als DHB-Außenstelle in Peking und dem DHB weiter?

WBK: Mit Rainer Nittel bin ich in einem ständigen Dialog, wir arbeiten unsere lange Liste – z.Z. sind wir bei über 30 Aufgaben – gemeinsam sukzessive ab. Wir machen hier aus China Vorschläge, was uns noch auf- und einfällt und klären das mit der DHB-Leitung und den beiden Mannschaftsbetreuern, Dorle Gassert und Jochen Heimpel. Es ist ein typisches interkulturelles Projekt, so wie ich es meinen chinesischen Studenten immer lehre, nur diesmal sind Zhang, Ting und ich mit der realen Wirklichkeit konfrontiert. Aber ich habe jede Menge Turnier-Erfahrung, das wird schon alles klappen. Nach sechs Jahren China – davon auch die volle SARS Zeit – hat man vieles erlebt, und man weiß, wie man sich lösungsorientiert in China verhalten muss. Interessant für mich zu sehen war bei den diversen Besprechungen im Mai in Gladbach, wie komplex und umfassend so ein Projekt Olympia ist, inzwischen habe ich schon den dritten Ordner anlegen müssen.

Unser oberstes Ziel ist und bleibt: unsere Mannschaften sollen sich in einem schwierigen Umfeld optimal behaupten, und wir geben den Teams und dem DHB das notwendige Sicherheitsgefühl, sich in einem Land zurechtzufinden, das vielen „chinesisch“ vorkommt.

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1. Mai 2024
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