Seniorenhockey

 

„Was wollen wir werden?“ - „Weltmeister!“

Erinnerungen von Uli Brauns an die Ü60-Weltmeisterschaft 2006 in Leverkusen

 

07.12.2016 - Der Minutenzeiger der großen Standuhr neben dem Hockeystadion steht genau senkrecht. Es ist ein Uhr mittags. Sekunden später höre ich den Schlusspfiff. Die Erlösung! Das Spiel ist aus. Schläger fliegen in die Luft, grau melierte Herren liegen sich in den Armen, alle und alles wird umarmt, Mitspieler, Trainer, Zuschauer, Frauen, Kinder, Enkelkinder, Blumensträuße. Eine Karussell der Ausgelassenheit. Ein Strudel der Freude. Wir haben gerade die favorisierten Engländer mit 2:0 geschlagen. Und ich hatte das große Glück, ausgerechnet im Endspiel, beide Tore zu schießen. Welch eine Sternstunde! Wir sind Weltmeister! Ich bin Weltmeister! Unfassbar!
Am Freitag, pünktlich zur Opening Ceremony des Grand Masters Hockey World Cup, stellt sich Fußball-WM-Wetter ein. Deutschland, ein Sommermärchen? Bei strahlendem Sonnenschein eröffnen nach Einmarsch der Mannschaften und Abspielen der Nationalhymnen Chairman Peter Child, OK-Mitglied Gerry Helfers und DHB-Präsident Stephan Abel das Turnier.

Gelungener Auftakt mit 4:0 gegen Niederlande

Am Sonnabend dann unser erstes Spiel gegen Holland. Mir gelingt das erste Tor nach einer einstudierten Strafeckenvariante mit unseren Eckenquartett. Unser Mannschaftskapitän „Grille“ Christof Roesler schießt zwei weitere, blitzsaubere Tore, und Helmut Trentmann, unser dynamischer Staatsanwalt, staubt zum 4:0 ab. Erstes Spiel gewonnen. Die Wade hält. Ein guter Auftakt.
Montag spielen wir gegen die eckigen Schotten. Nach einem 0:0 bei Halbzeit gewinnen wir am Ende 4:0. Wieder gelingt mir das 1:0 nach einem geglückten Alleingang. Linksaußen Helmut schießt das 2:0, und Uli Vos, unser Olympiasieger von `72 und fünfmaliger Deutscher Meister, erzielt das 3:0. Den Endstand zum 4:0 besorgt mein Mittelfeldpartner Eckard Wallossek, der einst 120 Länderspiele für die DDR bestritt und 1968 in Mexiko City um olympische Medaillen kämpfte.
Der knappe, aber hochverdiente 1:0-Sieg (Torschütze Ecki) gegen die ganz in rot spielenden Malayen am darauffolgenden Tag bedeutet Platz eins in Gruppe A und damit die Halbfinalpaarung Deutschland gegen Australien.

Dramatisches Halbfinale gegen Australien

Die Ausies sind der erwartet schwere Gegner. Laufstark, gut organisiert und keine Kinder von Traurigkeit. Mir stehen abwechselnd und unerbittlich zwei konsequente Manndecker auf den Füßen und verfolgten mich über den ganzen Platz. „We have the order to sit on your foot”. Meine Wadenverletzung bricht auf, und ich komme nie richtig ins Spiel. Es ist nicht mein Tag, und es sollte noch schlimmer kommen. Australien führt bis tief in die zweite Halbzeit mit 1:0 und sieht schon wie der sichere Sieger aus. Doch eine couragierte Kraftanstrengung von Helmut Trentmann aus Hannover bringt den Ausgleich und damit ein 7m-Schießen.
Den ersten 7-Meter schieße ich – vorbei! „Vorbei“, denke ich, alles aus und fühle nichts mehr. Andere fühlen mit mir, trösten mich, klopften mir auf die Schulter. Doch das Drama geht weiter. Die alten Jungs von Down Under zeigen Nerven und unser Keeper wird mein und unser Retter. Hans-Dietrich Sasse, genannt Hannemann, Torwart und Teilnehmer an zwei Olympischen Hockeyturnieren, wirft seine ganze Erfahrung und seine katzenhafte Geschmeidigkeit in die Schlenzbälle der Ausies und führt uns mit seinen unglaublichen Paraden ins Endspiel. 66 Jahre und kein bißchen Rost! Mensch, Hannemann! Ohne Dich und die anderen wäre ich nie Weltmeister geworden.

Kein Weg zu weit für das gemeinsame Ziel

Die anderen, das sind die, die entscheidende Zweikämpfe gewannen, das sind die, die bei den Ecken couragiert rausliefen, die harten Torschüsse des Gegners zunichte machten und die nur ein Tor in fünf Spielen zuließen. Die anderen sind die, denen kein Weg zu weit war, die im Sturm und im Mittelfeld rackerten und die entscheidenden Spielzüge einleiteten und die Vorlagen zu den Toren gaben.
Da ist zum einen Götz Betz, unsere kaltschnäuziger Ausputzer, der sich, wenn es sein musste, trotz massiv getapter Sprunggelenke und geschwollener Schienenbeine den gegnerischen Angriffswellen entgegenwarf. Da ist unser gnadenloser Vorstopper, Christian Sanner, der zum Schattenmann seiner Gegenspieler wurde und mit dem ich schon vor 35 Jahren in der Hamburger Studentenmannschaft spielte und dann, ein halbes Leben später, auf den traditionellen 5-Städte-Turnieren wieder traf. Da ist Jürgen Buddenberg, unser rechter Außenverteidiger, der sich immer wieder entlastend in den Angriff einschaltete und so ganz nebenbei die Oldie-WM vortrefflich mitorganisierte.

Hugo Stinnes spielte überwiegend als linker Außenverteidiger. Ihn bringt nichts aus der Ruhe, weder das Geschrei der Zuschauer noch die Zurufe der eigenen Spieler. Ich wüsste niemanden, der seine Zuspiele so atemberaubend soft am gelegten Schläger des Gegners vorbei timen kann. Mein G..., was hab ich gezittert! Herbert Gottwald, stets gut gelaunt und mit einem Akquise-Lächeln auf den Lippen, kenne ich schon seit meinem „Bielefelder Bierkastensturz“ 1979. Herbert verteidigte ganz stark gegen die Malayen und die Engländer und ließ sie noch älter aussehen, als sie schon sind.
Mit „Zwerg“ Engelhard, unserem kreativen Strategen im Mittelfeld und Mann mit dem guten Auge, spielte ich 20 Jahre bei den „Rissen Oldies“ und in jungen Jahren lieferten wir uns mit unseren Clubs heiße, verbissene Schlachten am Vossberg und am Marschweg.

Reiner Grundmann, die Lunge im Mittelfeld, lief immer wieder die Passwege der Gegners zu und rettete mit seinem coolen 7-Meter über den bereits liegenden Torhüter den Sieg gegen die starken Australier. Stürmer „Stolle“ Stolzenberg wechselte Mitte der 70er nach einer „Abhöraffäre“ vom UHC zum HTHC. Wir spielten etliche Jahre zusammen in den 1. Herren. Heute kombinieren wir wieder zusammen - oder versuchen es. Pech, Stolle wurde ein astreines Tor gegen die Schotten aberkannt. Auch mit Volker Janik spielte ich schon beim HTHC-Hamburg. Volker zog es Ende der 70er Jahre, wie viele andere Heidelberger Hockeyspieler auch, weg aus der Provinz, weg vom Englischen Institut hinein in die pulsierende Hafenstadt Hamburg. Volker, der Allrounder, war damals wie heute ein hartnäckiger Fighter und wertvoller Teamplayer.

Klaus Redeker kommt, wie ich, aus Bremen und war seinerzeit der absolute Leistungsträger beim Bremer HC. Ich wollte Klaus immer zum Club zur Vahr rüberholen, doch irgendwie klappte das nie. Dafür klappte unser Zusammenspiel bei der WM. Neben seinen Flankenläufen lernte er in Leverkusen sogar, dass man auch als Stürmer verteidigen darf.
Rüdiger Pokahr ist unser anderer guter Torwart. Die Heidschnucke aus Lüneburg spielte bei der WM weniger als sonst, nahm es aber anerkennend sportlich und trug damit, ebenso wie unser verletzter Innenverteidiger, Reinhard Gassner, zu der tollen Stimmung innerhalb der Mannschaft bei. Reinhard stand trotz nicht verheiltem Muskelfaseriss als „Nummern-Girl“ bei jedem Spiel neben der Bank und bangte mit uns mit.

Bier - eine soziale und teambildende Komponente 

Nicht unerwähnt bleiben, soll hier noch unsere sportmedizinisch-textile Abteilung in der Person von Dr. Hubert Pohnke und unser vielfrequentierten Masseur, dessen Name ich, da haben wir`s, das Alter!, leider vergessen habe. Vom Doc haben wir, bereits vor dem World Cup, gelernt, dass Bier, in Maßen getrunken, eine durchaus soziale und damit in positiver Weise teambildende Komponente darstellt. Von unseren „Physio“ hat wenigstens einer aus unserer Mannschaft gelernt, der Name des weißhaarigen, charmanten Mitspielers wird hier natürlich nicht verraten, dass man ein schweißtreibendes, gemeinsames Aufwärmen vor dem Spiel durch eine klug terminierte und in liegender Position verabreichte Massage ersetzen kann.

Gewonnen haben wir alle. Gewonnen hat der Teamgeist. Gesiegt hat der Glaube an uns und der Wille es zu packen. Eingeschworen, von unserem Motivator und Trainer Kurt Layer mit der immer gleichlautenden Frage: „Was wollen wir werden?“ und der immer gleichlautenden, stereotypen Antwort der Mannschaft: „Wir wollen Weltmeister werden!“ haben wir es geschafft. Die Kraft des positiven Denkens hat uns den Weg geebnet. Wir haben uns gefunden und sind zusammengewachsen. Für unser Ziel haben wir viel Zeit geopfert, haben so manches Sparschwein geschlachtet, haben uns im Training gequält, haben im Spiel, trotz vieler schmerzhafter Verletzungen, auf die Zähne gebissen und haben dem Alter nicht selten die Nase gezeigt. Vor dem Erfolg haben die Götter bekanntlich den Schweiß gesetzt. Und wir haben nicht schlecht geschwitzt - aber es hat sich gelohnt.
Jetzt sind wir Weltmeister! Und das wollten wir ja werden!

Uli Brauns

 

 

 
28. April 2024
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