Juni 2002 bis November 2005


Vereinshilfe Archiv: Gunolf Bach

Nr. 89 - 17. Juni 2004

Jugendhilfetag 2004 - das Thema: Ganztagsschule - Folge 1

Auf diesem Wege werden in drei Folgen ausgesuchte Texte zur Thematik auf der Vereinshilfeseite erscheinen
Unter der "Headline" Bilden statt reparieren waren auf dem Jugendhilfetag 2004 Ganztagsschulen ein wesentliches Thema.
In zahlreichen Fachforen diskutierten Experten über Kooperationsmöglichkeiten mit Jugendhilfeeinrichtungen.

"Optimismus und Skepsis hielten sich auf dem 12. Deutschen Jugendhilfetag vom 2. bis 4. Juni in Osnabrück die Waage, als Experten in den Fachforen das Thema Ganztagsschule diskutierten. Während einige Skepsis äußerten, dass die Jugendhilfe-Mitarbeiter als billige Aushilfslehrer missbraucht werden, sahen andere die Chance, der Jugendhilfe und ihren Ideen neue Geltung zu verschaffen.

Sind Ganztagsschulen eine Chance für die Jugendhilfe, zu neuer Blüte zu gelangen? Und ist dies möglich, ohne dass sie ihre Identität preisgeben muss oder gar in die Rolle einer Aushilfslehrerschaft gedrängt wird?
Als in zahlreichen Fachforen auf dem Deutschen Jugendhilfetag das Thema der Kooperation mit Ganztagsschulen referiert wurde, bekamen die Zuhörerinnen und Zuhörer diese fragende Grundmelodie immer wieder zu Ohren. Auf diese Melodie wurde mal ein optimistischerer, mal ein skeptischerer Text gesetzt. Eins fiel dabei auf: Die Diskussionen und Vorträge stießen auf großes Interesse. So manche Veranstaltung kam mit dem vorhergesehenen Platz nicht aus, so dass Zuhörer stehen mussten.
Ganztagsschulen und Jugendhilfe sind von aktuellem Interesse. Dies erwies sich auch in den Eröffnungsreden der Bundesfamilienministerin Renate Schmidt und des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Reiner Prölß. Die Ministerin zog in ihrer jugendpolitischen Grundsatzrede eine Verbindung von Ganztagsschulen zum Motto des Jugendhilfetags: "Natürlich muss sich auch in den Schulen etwas ändern. Wir brauchen Ganztagsschulen. Und deshalb setzt die Bundesregierung mit dem Investitionsprogramm 'Zukunft Bildung und Betreuung' eines der größten Bildungsprogramme um, das es je gab. Ich begrüße es ausdrücklich, dass Bund und Länder jetzt gemeinsam einen Bildungsbericht erstellen werden und sich auf einen umfassenden Bildungsbegriff verständigt haben. Denn Kinder und Jugendliche sollen 'leben lernen' - wie es das Motto des Jugendhilfetags sagt. 'Lebenskompetenz' - so heißt das zentrale Lernziel."

Gleichberechtigt und gleichwertig

Renate Schmidt auf dem Jugendhilfetag Laut Renate Schmidt sollen Schulen zu Orten des kognitiven, emotionalen und sozialen Lernens werden, wo über das Faktenwissen hinaus Kritik- und Teamfähigkeit vermittelt werden und Partizipation für Schülerinnen und Schüler und Eltern möglich ist. Schulen alleine würden das nicht schaffen, aber die Jugendhilfe verfüge über diese Kompetenzen. "Wir brauchen das Zusammenführen von Angeboten der kommunalen Jugendhilfe und der Schule unter einem Dach. Bildung und Jugendhilfe müssen mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen auf gleicher Augenhöhe als gleichberechtigt und gleichwertig in der Ganztagsschule kooperieren", forderte die Ministerin. "Beide müssen sich deshalb ändern, die Schule und die Kinder- und Jugendhilfe gleichermaßen."
Prölß, dessen Arbeitsgemeinschaft den Jugendhilfetag organisierte, warnte in seinem Beitrag allerdings davor, "dass die im Investitionsprogramm bereitgestellten Mittel, die einen bildungspolitisch begründeten Beitrag zum Ausbau von Ganztagesschulen leisten sollen, in manchen Ländern dazu verwendet werden, pädagogisch konzeptionell fragwürdige Ganztagesbetreuungsangebote zu schaffen und die Investitionen für längst fällige Gebäudeunterhaltsmaßnahmen und geplante Erweiterungen zu missbrauchen."

"Brachialschnitt ist notwendig"

Die Forderung nach einer "Kooperation auf gleicher Augenhöhe" zog sich nach der Rede von Renate Schmidt wie ein roter Faden durch die weiteren Veranstaltungen mit dem Schwerpunkt Ganztagsschule. So fragte Prof. Dr. Max Fuchs im Fachforum "Kultur macht Schule": "Wie soll auf gleicher Augenhöhe verhandelt werden, wenn die Schulen das Geld haben?" Trotz aller Kritik forderte der Vorsitzende der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, dass sich die Jugendarbeit auf die Ganztagsschulen hin orientieren und Modelle gelingender Zusammenarbeit entwickeln müsste.

"Alle Jugendhilfe-Verbände sind inzwischen für die Ganztagsschule, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind", so der Kulturpädagoge. Dazu müssten sich aber auch die Schulen verändern. Hilfreich wäre die Gewährung stärkerer Autonomie für die Schulen, wie sie in Skandinavien praktiziert werde. Der Staat solle lediglich die Ziele vorgeben, den pädagogischen Weg müssten die Schulen dann selbst wählen dürfen. "Es muss ein Brachialschnitt gemacht werden", erklärte Fuchs. "Wir brauchen eine Veränderung in der Binnenstruktur der Schulen, eine Entrümpelung der Lehrpläne und müssen das Verständnis von Bildung als Selektion ändern."

Abstimmung mit den Füßen

Ein anderes Denken forderte auch Jutta Johannsen. Die Direktorin des Gymnasiums Jungmannschule in Eckernförde bemängelte, dass die Vernetzung mit der Jugendhilfe bisher nur wegen der knappen finanziellen Ressourcen an den Schulen eingefädelt und von den Schulträgern gewünscht worden sei, nicht aber aus Begeisterung für etwas Neues. Aus dem schleswig-holsteinischen Ministerium käme jedenfalls keine Unterstützung. "Meine Ministerin hat vielleicht schon mal etwas von unseren Diskussionen hier gehört, ich bezweifle allerdings, dass sie versteht, worüber wir hier eigentlich reden", meinte die Vorsitzende des Bundes Deutscher Kunsterzieher.

Als möglichen Kooperationspartner für Ganztagsschulen stellten Mechthild Eickhoff und Peter Kamp ihren Bundesverband der Jugendkunstsschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen vor. "Bei uns sind Vertreter aller künstlerischen Sparten dabei. Wir haben die Struktur, besitzen die Kompetenz zum Projektmanagement und können über Projekte hinaus Personen in der Schule präsent halten", berichtete Frau Eickhoff. In Nordrhein-Westfalen kooperierten die Jugendkunstschulen bereits mit 40 der in diesem Schuljahr gestarteten 240 Ganztagsschulen – von einzelnen Projekten bis zur kompletten Nachmittagsgestaltung, so Kamp. In Duisburg organisiere man beispielsweise mit den Schülerinnen und Schülern zweier Grundschulen über das gesamte Schuljahr hinweg eine Schulrevue. Hier stellten die Schülerinnen und Schüler unter fachlicher Anleitung Masken, Requisiten und Bühnenbilder her und übten Akrobatik und Tanz ein. Die Kolleginnen und Kollegen dieses Projekts könnten dabei auch an den Schulkonferenzen teilnehmen und ihr pädagogischer Rat werde gehört. Die Abstimmung mit den Füßen spreche dabei für das Engagement: Inzwischen sei die Resonanz doppelt so hoch wie zu Beginn des Schuljahrs, berichtete der Vorsitzende der Jugendkunstschulen in Nordrhein-Westfalen.

Großes Interesse in vollen Sälen

In dem Forum "Gemeinsam geht es besser" referierte Klaus Schäfer über die "Kinder- und Jugendhilfe in der offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfalen". Der Abteilungsleiter Jugend und Kinder im nordrhein-westfälischen Ministerium für Schule, Jugend und Kinder stellte einleitend fest: "Ohne die Integration der Jugendhilfe bekommen wir keine neue Schule." Dass "Bildung mehr als Schule, Schule mehr als Unterricht" sind, sei für die Jugendhilfe klar, für andere dagegen nicht so sehr. Es sei daher manchmal schwierig, Lehrern zu vermitteln, dass "es auch andere Pädagogen" gebe.

Dennoch lohne es sich, in die Schulen zu gehen. Das Interesse von Eltern an umfassenderer Bildung für ihre Kinder sei groß. "Wir sind vom Ministerium aus durch Nordrhein-Westfalen gereist, um das Thema der Einbindung der Jugendhilfe vorzustellen, und egal, wohin wir kamen – die Säle waren immer voll. Nur Schulen, die mehr zu bieten haben und attraktive Angebote machen, werden in Zukunft bestehen können. Die Anmeldezahlen zeigen einen Trend hin zur Ganztagsschule, und auf Dauer werden alle Eltern in diesen Sog geraten."

Durch die Jugendhilfe kämen Fachkräfte aus verschiedenen Professionen in die Schulen und sorgten für Qualität. Den Kindern eröffne das Möglichkeiten, neue Fähigkeiten zu entdecken und eigene Interessen zu entwickeln. In Nordrhein-Westfalen werde die "gleiche Augenhöhe" dabei durch Kooperationsvereinbarungen gesichert. Eine entsprechende Vereinbarung des Landes mit den Kirchen ist laut Schäfer unterschriftsreif. Für die Zukunft seien mehr gemeinsame Fortbildungen von Schulen und Erziehern wünschenswert. "Auch die Lehrerausbildung müsste verändert werden", meinte der Abteilungsleiter, "aber das ist schwieriger."

Schulen am Ende ihrer Kräfte

Eine bereits etablierte und funktionierende Zusammenarbeit stellten Klaus Flesch und Rainer Müller vor. Innerhalb des "Familienprojekts Dortmund" gibt es bereits seit 1991 Betreuungsangebote an Ganztagsschulen.
Zu Beginn war ein Philosophiewechsel nötig, so Müller, der vom Jugendamt für das Projekt freigestellt worden ist: "Es galt, verschiedene Erziehungs- und Bildungsmodelle zu verknüpfen und eine Kooperation auf Augenhöhe zu schaffen."

Wie gelang das in Dortmund? "Zu Beginn haben wir alle Schulen und Träger an einen Tisch und ins Gespräch gebracht", erzählte Schäfer. "Die Kommune muss Geburtshelfer spielen und die Betreuung der Kooperationen ortsnah sichern. In Dortmund haben wir zudem in jedem Stadtbezirk einen Ansprechpartner, einen so genannten 'Kümmerer', installiert, der mit Rat und Tat zur Seite steht." Inzwischen wollten so viele Schulen Ganztagsschulen werden, dass man derzeit nicht alle berücksichtigen könne.

Den Trend zur Kooperation begründete Klaus Schäfer: "Die Schulen merken, dass sie am Ende ihrer Kräfte und mit der Erziehung überfordert sind. Und auch die Schulministerien merken langsam, dass Lernen nicht nur etwas mit Schule zu tun hat. Durch die Ganztagsschulen werden wir auch eine andere Jugendhilfe bekommen:
Sie wird endlich nicht mehr nur als Reparatur-, sondern auch als Bildungsinstanz wahrgenommen werden."
(Bundesministerium für Bildung und Forschung)

 
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