Nationalteams

Mülders: „Die Damen sind ein spannendes und gutes Produkt des deutschen Hockeys!“

Der Bundestrainer nach Erreichen der Olympia-Qualifikation im Interview

02.07.2015 - Die deutschen Hockeydamen haben vor zehn Tagen mit dem dritten Platz beim World-League-Turnier im spanischen Valencia die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 geschafft – eine Woche, nachdem die DHB-Herren dieses bereits durch den Sieg bei ihrem Turnier in Buenos Aires erreichten. Bundestrainer Jamilon Mülders blickt im Interview auf die Turnierleistung zurück, skizziert die Entwicklung der Mannschaft und den Weg, den sich Team und Staff dafür gemeinsam ausgesucht haben, und fordert ein eigenes übergreifendes Modell für den Frauensport in Deutschland.

 

 

Sie haben betont, dass die Rolle Yvonne Franks wichtig war. Die hat ja aber nur eine Halbzeit gespielt?!

Mülders: „Der Teamgedanke war ausschlaggebend bei diesem Turnier. Wer schafft es, sein Ego rauszunehmen. Yvi wollte ich unbedingt dabei haben, auch wenn es nach ihrer langen Verletzung ja nicht klar war, ob sie rechtzeitig fit würde. Sie hat dann genau den Teamgeist reingebracht, den ich mir erhofft hatte. Für sie ist das selbstverständlich, für andere vielleicht nicht so! Daneben muss man natürlich sagen, dass Kristina Reynolds ein riesen Turnier gespielt hat. Beide Keeper, die wir mithatten, wären in jeder anderen Nation die Nummer eins!“

 

Sie haben in der Zusammenarbeit mit dem Sportwissenschaftler Dr. Wolfgang Klöckner und mit André Henning ein neues Führungsprinzip in der Mannschaft etabliert. Erklären Sie das doch bitte mal!

Mülders: „Das Thema Eigenverantwortung hat bei uns eine ganz große Bedeutung bekommen. Die Mannschaft hat dabei bestimmte Rollen und Prinzipien übernommen. Es gibt beispielsweise eine siebenköpfige Führungsgruppe unter den Spielerinnen, in der bestimmte Aufgaben aufgeteilt sind. So sind zum Beispiel Janne Müller-Wieland und Julia Müller für das Feedback zur Trainingsqualität zuständig – mit Andreas Höppner als Mentor. Die Spielqualität analysieren Luisa Steindor und Janne Müller-Wieland und besprechen das mit Andre Henning. Das funktioniert schon richtig gut! Die Arbeit an der sozialen Struktur der Mannschaft ist bei Hannah Krüger und Katharina Otte aufgehängt. Da bin ich der Mentor!“

 

In der Vergangenheit wurde da oft mit Teampsychologen zusammengearbeitet…

Mülders: „Wir haben uns dafür entschieden, mit Dr. Klöckner als Prozess-Coach zu arbeiten. Das ist etwas anderes. Da geht es viel um das kreuzen von Mustern, darum, sich gegenseitig Feedback zu geben, sich in Situationen zu spiegeln – und das ist nicht immer sehr angenehm für einen. Man muss damit umgehen lernen, sich darauf einlassen, weil es voll ins Eingemachte gehen kann, wenn dir der Kollege sagt, was du seiner Meinung nach gut kannst und was eben nicht. Und es geht um das Thema Energie. Wir unterscheiden zwischen Energie-Spendern und Energie-Saugern. Letztere sind die, die oft jammern und mit sich selbst beschäftigt sind. Wir wollen nur Energie-Spender!“

 

Wie nimmt die Mannschaft dieses Prinzip auf?

Mülders: „Die Mannschaft steht im Mittelpunkt, ist voll einbezogen, aber wird trotzdem geführt! Dafür haben wir vieles auf das Wesentliche reduziert. Die Mädels haben da einen guten Job gemacht – und das sage ich nicht nur wegen des Ergebnisses am Ende in Valencia! Es bringt riesen Bock, mit ihnen zu arbeiten, denn sie wollen unbedingt! Wir werden den Kader auch jetzt nicht allzu weit öffnen. Eine kleine Gruppe Verletzter kommt zurück. Das sind Katharina Otte, Julia Müller, Lisa-Marie Schütze und Selin Oruz. Wir müssen schauen, ob Pia Oldhafer es in der Reha schafft. Und es muss abgeklärt werden, was letztlich mit Luisa Steindors angeschlagenem Knie passieren soll!“

 

Jetzt könnte man, wenn man die Ergebnisse in Valencia sieht, ja auch sagen, dass sie das nötige Glück hatten. Den Begriff mögen Sie aber nicht, oder?

Mülders: „In engen Spielen in der Weltspitze sind es oft Nuancen, die den Ausschlag dafür geben, dass es in die eine oder andere Richtung läuft. Das hat aber mit Glück nur wenig zu tun – das passiert bei den Spielerinnen im Kopf! In diesem Bereich hat André Henning als Co-Trainer gemeinsam mit dem Team ganz stark gearbeitet. Er hat ein unglaublich gutes Gespür für die Situation und trifft mit seinen Worten exakt den entsprechenden Nerv. Ich behaupte, dass wir neben Großbritannien in diesem Turnier das Team waren, das im Kopf am klarsten war. 2013 hatten wir diesen Status schon einmal erreicht, haben es im letzten Jahr für circa drei Wochen durch fehlende Abstimmung und fehlende Tiefe zum entscheidenden Zeitpunkt aber wieder verloren. Ich bin mir sicher, dass uns das nicht noch einmal passiert, denn wir haben das inzwischen besser festgezurrt. Auf dem Platz sind Janne Müller-Wieland, Luisa Steindor, Hannah Krüger und Franzisca Hauke in solchen engen Situationen sehr präsent auf dem Platz, so dass da auch bei den anderen nie Zweifel aufkommen.“

 

Und spielerisch?

Mülders: „Sind wir variabler geworden! Wir kreieren uns inzwischen deutlich mehr Chancen. Kein Gegner in Valencia war dauerhaft in der Lage, uns zu pressen. Wir haben es immer wieder geschafft, uns im Spiel situativ anzupassen und zu reagieren. Athletisch ist die Mannschaft inzwischen gut – wir können mit unserer Schnelligkeit den anderen weh tun! Was uns vereinzelt noch fehlt, ist die körperliche Robustheit, um aggressiv verteidigen zu können. Die Ecken waren zumindest phasenweise gut, am Ende leider nicht mehr so. Aber daran werden wir weiterarbeiten!“

 

Was unterscheidet Ihr Team dann noch von den absoluten Top-Teams?

Mülders: „Nicht so viel! Also, ob das die Niederlande, Australien und Neuseeland sind, die haben alle eine gute Strafecke, die konstant trifft. Wir haben gesehen, dass Großbritannien zum Beispiel im Bereich des individuellen Abwehrverhaltens noch besser ist. Diese Nationen haben alle ein Vollzeitprogramm mit ihren Teams. Dem werden wir weiterhin durch noch bewussteres Trainieren und qualitativen Ansatz begegnen. Da werden wir weitere Schritte machen! Keiner bei uns erhebt den Anspruch, dass wir als Dritter des einen World-League-Halbfinalturniers ein Medaillenkandidat für Rio wären. Es wäre fatal, falsche Hoffnungen zu wecken, denn dafür sind noch viel zu dicke Bretter zu bohren. Aber wir bleiben realistisch und mit klarem Blick. Ein würdiges Team für Olympia werden wir auf jeden Fall entwickeln!“

 

Wie bewerten Sie denn die Rahmenbedingungen, die Ihr Team für diese nächsten knapp 14 Monate Vorbereitung bis Olympia hat?

Mülders: „Wir bekommen hinsichtlich der Lehrgangsplanung große Unterstützung durch die Leistungssportförderung von BMI und DOSB über unseren Verband. Das läuft auch in der Abstimmung mit dem DHB-Leistungssport wirklich gut. Wenn ich mir aber die persönliche Situation der einzelnen Spielerinnen in meinem Team anschaue, dann gibt es noch erheblichen Optimierungsbedarf. Für viele Spielerinnen ist solch eine intensive Vorbereitung auf Olympische Spiele mit zu großen Entbehrungen und Einschnitten verbunden. Da sind die Herren in einer ganz anderen Situation, die sie sich aber auch durch die vielen Erfolge der letzten Jahre absolut verdient haben. Aber hier würde ich mir wünschen, dass die Mädels über die Vereine, die Sporthilfe oder aus anderen Quellen in die Lage versetzt werden, Olympia ins Visier zu nehmen, ohne die Sorge über finanzielle Einbußen oder die Notwendigkeit von Nebenjobs!“

 

Passt das zu Ihrer Forderung, die DHB-Frauen nicht immer mit den Herren zu vergleichen?

Mülders: „Aus meiner Sicht absolut! Wir benötigen ein übergreifendes Modell für Frauensport in Deutschland – und es wäre super, wenn der DHB hier Vorreiter sein könnte! Erhöhtes Ansehen für Sportlerinnen, eigene Profile und klare Aufmerksamkeit müssen das Ziel sein! Unsere Herren sind im Hockey das Premium-Produkt des Verbandes, aber das bedeutet ja nicht, dass es dahinter nicht noch weitere spannende und gute Produkte gibt. Es sind halt andere Produkte und keine Kopie des Premium-Produktes! Die Summen, die in der Herren-Bundesliga zur Unterstützung aufgebracht werden, werden wir bei den Frauen nicht erreichen, aber wenn Erfolg realistisch gewünscht ist, dann brauchen wir Geld, das direkt bei den Spielerinnen ankommt! Möglichst schnell und für die Zeit bis zum Ende der Olympischen Spiele!“

 

Jetzt kommt als nächstes großes internationales Turnier die EM. Von da ab ist es noch ein ganzes Jahr bis Rio. Passt das in den Vorbereitungsplan?

Mülders: „Ja, das liegt sogar super für uns. Es ist ein toller Event, bei dem wir uns als Team wieder einen Schritt weiterentwickeln können. Wir haben den Anspruch, gegen Italien und Schottland in der Gruppenphase zu gewinnen. Dann gibt es ein Endspiel um den Gruppensieg gegen Großbritannien. Gern würden wir die Gruppenphase als Erster abschließen, aber die Britinnen haben die Messlatte durch den Sieg beim Olympia-Qualifier hoch gehängt. In Valencia hat man die Unterschiede deutlich erkannt. In Viertel eins und zwei waren wir zu schwach und nicht im notwendigen Wettkampfmodus. Die Erleichterung und damit abfallende Spannung nach dem Sieg gegen Spanien hat uns nicht gerade geholfen. Wir haben aber in Valencia gezeigt, dass wir spielerisch im vierten Viertel auf Augenhöhe agieren konnten und England mit sieben Ecken im letzen Viertel noch besiegen müssen! Alles eine Frage unserer Köpfe und somit unserer Leistung. Nach der EM-Gruppenphase schauen wir dann mal!“

 
28. März 2024
« zurück
» mehr Nachrichten
Link teilen
   
 

» Impressum   » Datenschutz © 2024 • hockey.de