100 Jahre DHB:

100 Geschichten aus 100 Jahren DHB

26. August 2004:

Eine Sternstunde des Sports

Mit dieser Goldmedaille hat weder im Hockeylager noch beim Nationalen Olympischen Komitee Deutschlands jemand gerechnet. Umso schöner ist das, was an diesem lauen Sommerabend in der griechischen Hauptstadt Athen passiert. Die deutschen Damen, auf Rang sieben der Weltrangliste zurückgefallen, stellen im olympischen Finale dem haushohen Favoriten Niederlande erfolgreich ein Bein. Schon nach fünf Minuten schlenzt Anke Kühn strahlhart eine Ablegerecke zum 1:0 in den holländischen Kasten. Die wütenden Attacken des Oranje-Teams übersteht der Überraschungsfinalist mit viel Glück und auch Können. Nach 20 Minuten nimmt die Sensation langsam Gestalt an, als Franzi Gude einen Abpraller argentinisch zum 2:0 verwandelt. Die Holländerinnen wirken wie verstört, nichts ist mehr so wie beim sicheren 4:1-Gruppenspielsieg gegen die Deutschen. Ganz anders, nämlich viel selbstbewusster und effektiver gehen die Schützlinge von Markus Weise jetzt zu Werke. Auch wenn dem Team von Marc Lammers schon wenige Minuten nach der Halbzeitpause der Anschlusstreffer gelingt, passiert der immer noch allseits erwartete Umschwung nicht. Die Holländerinnen drängen, aber verkrampfen zugleich. Die Deutschen verteidigen und stellen sich dabei unverschämt clever an. Gegen Ende liegt bei einem der zahlreichen Konter sogar eher 3:1 in der Luft als vor dem Kasten von Louisa Walter das 2:2. „Olympiasieger Deutschland – ich fass' es nicht“, schreit Fernsehkommentator René Hiepen ins Mikrofon, als die letzten Sekunden ablaufen.
Eine sportliche Sensation ist perfekt, eine Sternstunde des Sports.

Wie kann man das „Wunder von Athen“ erklären? Alleine mit Verstand und Logik ist der Gang in Sackgassen vorprogrammiert. Vielleicht hilft es einfach weiter, einige Stationen zu beschreiben. Wo anfangen? Am besten am Abgrund. Dort nämlich standen die deutschen Damen nach ihrem dritten Turnierspiel. Bis dahin hatten sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten gespielt, will heißen, mit den üblichen Ausschlägen nach oben wie nach unten. Sie würde spielen wie eine Wundertüte – man weiß nie, was als nächstes herauskommt, sagte der Trainer über seine Mannschaft. Den 2:1-Überraschungssieg gegen Titelverteidiger Australien zum Auftakt durfte man getrost als Eintagsfliege abtun, als gegen Holland (1:4) und insbesondere gegen Südafrika (0:3) bittere Schlappen bezogen wurden. Wer auf die Idee gekommen wäre, dem stinksauren Markus Weise unmittelbar nach dem Südafrika-Spiel ein Kündigungsschreiben als Damen-Bundestrainer unter die Nase zu halten, der hätte gute Chancen auf eine Unterschrift gehabt.

Es war dieses Gemisch aus Angst vor dem drohenden sportlichen Absturz (auf den letzten Platz) und Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung, dieser ständigen Achterbahnfahrt, die im deutschen Lager gärte. Es kam zur legendären „reinen Frauensitzung mit viel Gerede um den heißen Brei herum“ (Weise) und anderen Versuchen, noch einmal die Kurve zu kriegen. Tatsächlich gab es im Weichen stellenden letzten Gruppenspiel gegen Südkorea die „Explosion“, wie der Trainer die Willensleistung nannte, die einige Spielerinnen „endlich mal bis an die Kotzgrenze“ heranbrachte. Mit der Schubkraft des 3:2-Sieges wurde „eine Dynamik aufgebaut und bis zum Ende durchgezogen“.

Endlich griffen nun auch andere Elemente der erst einjährigen Arbeit des Mannheimers. Man habe zwischen Trainer und Team vor einem Jahr vereinbart, erzählte Weise am Abend nach der Siegerehrung, „keine halben Sachen mehr“ machen zu wollen. „Die Mädels haben ein Riesenpensum von mir aufgehalst bekommen“, sagt der Trainer, um stolz den Halbsatz nachschieben zu können: „Und sehr viele haben sich daran gehalten und konsequent mitgezogen.“ Anders wären die beeindruckenden physischen Leistungen in den letzten drei Olympia-Spielen auch nicht zu erbringen gewesen. Doch Fitness war nicht nur in den Beinen gefragt. In der Vergangenheit spielte oft der Kopf nicht mit, beim geringsten Druck knickten die Damen meist um. Das große Problem der mangelnden Wettkampfstabilität habe man „mit wirklich brutal harter Arbeit Stück für Stück kleingemeiselt“, wie der Trainer in seiner für die Medienleute meist sehr dankbaren Sprache erläuterte. Unglaublich: Aus dem einstigen Problem wurde die größte Stärke. In Athen waren die deutschen Damen am Ende die mental besten, jedenfalls stärker als die im Halbfinale nach Siebenmeter gestoppten Chinesinnen und die holländischen Favoritinnen. Die Wundertüte plötzlich nur noch als Wunderteam.

Alles hänge mit dem Selbstvertrauen zusammen, dozierte Weise nach dem Finalsieg. „Du musst vom Kopf her gnadenlos dagegenhalten. Wenn wir uns hier am Ende eine Schwäche geleistet hätten, hätten uns die anderen gnadenlos weggebügelt.“ Denn man sei, das war dem Bundestrainer klar, hier bestimmt nicht die qualitativ beste Mannschaft gewesen, sondern nur jene, die die Turniersituation am besten ausgenutzt habe. Und wie!

Das Olympiasiegerteam: Louisa Walter, Julia Zwehl, Marion Rodewald, Mandy Haase, Tina Bachmann, Denise Klecker, Badri Latif, Anke Kühn, Fanny Rinne, Caroline Casaretto, Franziska Gude, Natascha Keller, Heike Lätzsch, Nadine Ernsting-Krienke, Sonja Lehmann, Silke Müller.

 
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